„War der schon mal in einem Stall?“ – „Weiß die eigentlich was es bedeutet Landwirtin zu sein?“ – „Wieso reden die Leute überhaupt mit, obwohl sie keine Ahnung haben?“ – Wer kennt sie nicht, diese und ähnliche Sprüche, die man vor allem in sozialen Netzwerken schnell mal an den Kopf geworfen bekommt, wenn man es sich erlaubt sich zu den Zuständen in der Landwirtschaft zu äußern. Wer das Elend der Tiere oder die Zerstörung der Natur ebenda anprangert, der zieht mitunter schnell den Unmut auf sich.
Leider gibt es auch Landwirte, die auf Kritik an offenkundigen Missständen nicht mit Dialog reagieren, sondern im Reflex zum Gegenangriff rufen. Das mag in manchen Fällen daran liegen, dass einige sie pauschal diffamieren, sowas muss natürlich unterbunden werden. Die meisten Landwirte lieben ihre Tiere und schützen die Natur. Und es ist auch verständlich, dass diejenigen, die von der Nutzung der Tiere leben, sensibel darauf reagieren, wenn man sich in ihr Geschäft einmischt. Aus drei Gründen müssen wir es trotzdem machen.
Grund 1: Es geht um fühlende Wesen
Erstens geht’s hier um Lebewesen und nicht um Objekte. Es ist daher niemals dem „Besitzer“ überlassen, wie mit ihnen umgegangen werden darf, sondern eine Entscheidung, die wir als Gesellschaft zu treffen haben. So läuft das in einer Demokratie: Die Mehrheit entscheidet, darüber, wie Tiere zu behandeln sind, auch in der Landwirtschaft. Was vor 20 Jahren noch in Ordnung war, kann sich schon heute ändern, wenn genügend Menschen das wollen. Das kann man gut oder schlecht finden, man muss es akzeptieren.
Bestes Beispiel dafür ist der Vollspaltenboden in der Schweinehaltung. Vor einigen Jahren wurde er den Bauern gegenüber noch als „Innovation“ angepriesen, wurde sogar mit Steuergeld gefördert. Manche haben ein großes Geschäft damit gemacht, Stallbauten sind teuer und refinanzieren sich erst über Jahrzehnte. Heute ist er verpönt, die allermeisten Menschen in Österreich lehnen ihn ab. Und die Politik hat diese Signale längst gehört und handelt nur noch die Übergangsfristen bis zu seiner endgültigen Abschaffung aus.
Grund 2: Wir alle finanzieren die Landwirtschaft
Zweitens finanzieren wir den Großteil der Landwirtschaft über unsere Steuern. Ob wir wollen oder nicht, der Staat hat diese Entscheidung für uns getroffen, auf nationaler wie europäischer Ebene. Ganze 66 Cent von jedem Euro, den eine Landwirtin mit ihrer landwirtschaftlichen Arbeit verdient, erhält sie von der öffentlichen Hand. Der Großteil stammt aus dem EU-Agrartopf, leider falsch verteilt. Denn die 20 Prozent größten Betriebe bekommen 80 Prozent der gesamten Fördermittel, die Kleinen bekommen viel zu wenig.
Kaum jemandem mag bewusst sein, dass wir das Gemüse, das Schnitzel oder den Käse im Gasthaus oder Supermarkt, selbst wenn wir sie nicht kaufen, bereits bezahlt haben. Für die meisten Menschen ist das in Ordnung, immerhin erbringen Landwirte eine immens wertvolle Leistung für unsere Gesellschaft, weit über ihre primäre Funktion als Ernährer*innen hinaus. Sie pflegen die Landschaft, sie erhalten Kulturgut. Und für eine Tourismusnation wie Österreich ist das von großer Bedeutung, bis zu 20 Prozent des BIP hänge da dran.
Grund 3: Wer nichts weiß, kann nicht bewusst konsumieren
Nicht zuletzt wird zurecht immer wieder eingemahnt, dass wir auch als Konsument*innen eine Verantwortung für das Wohl der Tiere, den Erhalt der Natur und das Überleben der Landwirte tragen. Denn über unseren Teller könnten wir darauf Einfluss nehmen was und wie produziert wird. Das stimmt auch, aber eben nur im beschränkten Ausmaß. Denn wenn wir nicht wissen, was genau am Teller landet und wie es erzeugt wurde, dann können wir auch nicht für oder gegen Regionalität, Tierwohl und Naturschutz entscheiden.
Und das hat auch damit zu tun, dass wir uns stark von den Realitäten in der Landwirtschaft entfremdet haben. Wir beziehen unsere Informationen aus der Werbung der Handelskonzerne, wo wir lauter geschönte Bilder sehen, oder den Horrorbildern von Tierschutzorganisationen. Und je mehr man uns Konsument*innen vom Dialog ausgrenzt, je mehr man uns erzählt, wir sollten uns nicht in die Landwirtschaft einmischen, umso weniger können wir diese Verantwortung am eigenen Teller übernehmen.
Wir müssen an den Tisch zurückkehren
Es ist daher hoch an der Zeit, dass wir als Bürger*innen und als Konsument*innen gleichermaßen an den Tisch zurückkehren. Dort, wo Politik, Produzenten und Handel sich bislang weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit die gesetzlichen Spielregeln für die Landwirtschaft ausmachen, dort muss es künftig auch eine Vertretung der Konsumierenden geben. Sonst werden die Beschlüsse nicht mitgetragen und dann braucht man sich nicht wundern, dass die bisherige Entwicklung verstärkt.
Wer also will, dass die kleinbäuerliche österreichische Landwirtschaft eine Zukunft hat, wer möchte, dass Tierwohl, Naturschutz und gesunde Lebensmittel gestärkt werden, der muss in Dialog treten. Und zulassen, dass Menschen sich einmischen. Dazu braucht es auch ein gewisses Maß an Toleranz: Denn ja, die meisten Konsumenten haben wirklich keine Ahnung – woher sollen sie es auch wissen? Wer was daran ändern möchte, sollte sich auf ein Gespräch mit ihnen einlassen. Davon profitieren wir letztlich alle.
Nach Meinung der Expert*innen braucht es einen „Totalumbau der Landwirtschaft“, nicht nur zur Erreichung von mehr Tierwohl, sondern auch zur Absicherung der kleinbäuerlichen Betriebe in Österreich. Ihre Wettbewerbsfähigkeit wird sich demnach künftig an einem Maximum an Tierwohl und Naturschutz orientieren, nicht an der Fähigkeit möglichst viel Leid in möglichst kurzer Zeit zum möglichst niedrigen Preis zu produzieren.
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