Für ein Volksbegehren in Österreich braucht man einen langen Atem. Denn selbst wenn die erforderlichen 100.000 Unterschriften gesammelt werden können, heißt das noch lange nicht, dass die Parteien auch den Willen der Bevölkerung wirklich umsetzen. Als das Tierschutzvolksbegehren im Herbst 2018, also vor rund 3 Jahren gestartet wurde, hat man sich auf diesen Marathon vorbereitet. Jetzt kommt die finale Phase.
Ein kurzer Rückblick: Nachdem im Januar 2021 die Eintragungswoche des Volksbegehrens stattgefunden hat, endete die Phase der Unterschriftensammlung. Mit einem gigantischen Erfolg, denn über 416.000 Menschen unterschrieben das Tierschutzvolksbegehren und machten es zur erfolgreichsten Initiative seit Jahren. Kein anderes Volksbegehren konnte seit 4 Jahren derart viele Stimmen auf sich vereinen – ein starkes Zeichen.
Die nötige „Totalreform“ der Landwirtschaft
Noch vor dem Sommer landete das Volksbegehren dann im Nationalrat, wo es zunächst im Plenum und dann im zuständigen Gesundheitsausschuss diskutiert wurde. Dabei fand auch ein Expert*innen-Hearing statt, das von den Statements der beiden Top-Experten Prof. Zöllitsch und Prof. Kirner dominiert war. Die Aussage der beiden war klar: Es braucht eine „Totalreform“ der Landwirtschaft, damit echtes Tierwohl erreicht werden kann.
Auch oekoreich hat einen eigenen außerparlamentarischen Konsultationsprozess unter Beteiligung von nicht weniger als 18 Expert*innen durchgeführt. Der Ergebnisbericht wird im Oktober veröffentlicht, doch schon jetzt ist klar, dass es breiten Konsens darüber gibt, dass nur im „Feinkostladen Österreich“, also in einer kleinstrukturierten, tier- und klimafreundlichen Produktionsweise, die Landwirtschaft eine Zukunft hat.
Seither wird hinter den Kulissen und abseits der Öffentlichkeit verhandelt. Vor allem ÖVP und Grüne sind sich nicht einig darüber, welche konkreten Maßnahmen nun getroffen werden sollen. Manche der Forderungen des Tierschutzvolksbegehrens wurden bereits erfüllt, etwa im Bereich der öffentlichen Beschaffung. Hier hat Ministerin Gewessler den Willen der Bürger*innen in ihrem Zuständigkeitsbereich maximal umgesetzt.
Einige Forderungen wurden bereits umgesetzt
Auch die Vor-Ort-Schlachtung zur Reduktion der Tiertransporte wurde ermöglicht und ein Transport-Stopp bei Überschreitung einer Temperatur von Minister Mückstein verfügt. Das sind wichtige kleine Schritte zur Verbesserung des Tierwohls und auch Unterforderungen des Volksbegehrens gewesen, die großen Würfe aber lassen nach wie vor auf sich warten. Dazu zählen im Wesentlichen die beiden Hauptforderungen:
Erstens die verpflichtende Kennzeichnung von Herkunft und Haltung bei Lebensmitteln. Sowohl bei verarbeiteten Produkten im Supermarkt als auch in öffentlichen Küchen und in der Gastronomie. Hier ist die Regierung säumig, doch genau zu dem Punkt laufen aktuell die intensivsten Gespräche. Blockieren dürfte nicht nur das Landwirtschaftsministerium, sondern auch das Wirtschaftsministerium von Ministerin Schramböck.
Änderung der Fördergeldverteilung als Schlüssel für mehr Tierwohl
Doch auch der zweite Forderungspunkt, die Umstellung der Fördermittel hin zu einer tier- und umweltfreundlichen Landwirtschaft, die vor allem kleinbäuerliche Betriebe stärken soll, ist nach wie vor nicht erfüllt. Auch er wird aktuell im Hintergrund heftig verhandelt, immerhin ist das Teil der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union, wo Österreich schon bald einen Strategieplan vorlegen muss.
Am 6. Oktober findet der nächste Gesundheitsausschuss statt, auf seiner Tagesordnung steht auch die Behandlung des Tierschutzvolksbegehrens. Noch ist nicht klar, ob und in welcher Form die Parteien sich auf einen Antrag zur Umsetzung der Forderungen einigen können. Die FPÖ hat ihre Mitwirkungsbereitschaft signalisiert, auch die NEOS haben sich an einer Zusammenarbeit im Sinne der Bürger*innen interessiert gezeigt.
Kann sich der Bauernbund in der ÖVP gegen den Wirtschaftsbund durchsetzen?
Die Frage ist jetzt nur noch, ob der mächtige Wirtschaftsflügel in der ÖVP sich gegenüber den Interessen der Landwirte im Bauernbund durchsetzen kann oder nicht. Denn mehr Transparenz bei Lebensmitteln, mehr faire Fördergeldverteilung und vor allem auch Investitionssicherheit in der Landwirtschaft, das alles dient nicht nur den Tieren und den Konsument*innen, sondern primär den Bäuer*innen in unserem Land.
Noch wird verhandelt, die nächsten zwei Wochen werden darüber entscheiden, ob es zu einem großen Wurf kommt, oder ob es weiter bei Stückwerk bleibt. Offene Punkte sind neben oben genannten strukturellen Reformen vor allem AMA-Reform, Vollspaltenböden, Kükentöten und Kälbertransporte. Die Chance und die Hoffnung leben, dass es hier durch das Tierschutzvolksbegehren noch zu echten Fortschritten kommen könnte.
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