Eine schwedische Kleinstadt will zukünftig Krähen zum Aufsammeln von weggeworfenen Zigarettenstummeln einsetzen. Die Intelligenz der Tiere soll die Umwelt von Müll befreien und dem Menschen ein sauberes Stadtbild bieten. Dass letzterer diesen giftigen Abfallberg selbst verschuldet, verpufft in der Berichterstattung genauso wie der Rauch der jährlich konsumierten 5,4 Billarden (!) Zigaretten weltweit.
Giftige Zigarettenstummel als häufigster in der Natur entsorgter Gegenstand
Weggeworfenen Zigarettenstummel sind und bleiben ein Ärgernis auf den Straßen vieler Städte weltweit. Sie werden oft achtlos weggeschnippt, gelangen in die Kanalisation oder die Natur. Dort brauchen sie bis zu 15 (!) Jahre, um zu verrotten. In Österreich beträgt dieser Müllberg pro Jahr etwa 4 500 bis 5 500 Tonnen. Das löst nicht nur den Zorn jener aus, die Wert auf eine saubere Umgebung legen, sondern ist insbesondere ein großes Problem für die Umwelt. Denn der Filter bzw. Tabak enthält giftige Stoffe, allen voran das Nervengift Nikotin und Teer, aber auch Blausäure, Dioxine und Schwermetalle wie Blei, Chrom oder Cadmium.
Leichtfertig auf der Straße entsorgte Zigarettenstummel – und somit hochgiftige Substanzen – werden häufig von Tieren wie Hunden oder Vögeln gefressen oder landen in Gewässern. Tiere erleiden dadurch schwere Vergiftungen oder verenden qualvoll am Filter aus Plastik, der ihren Magen verstopft. Reste von Zigarettenstummel wurden bereits im Magen-Darm-Trakt von Fischen, Walen und Meeresschildkröten nachgewiesen. Aber nicht nur für Tiere, sondern auch für Menschen können Zigarettenstummel ein Gesundheitsrisiko darstellen. Kleinkinder verschlucken beispielsweise Zigarettenstummel beim Spielen im Sandkasten und kämpfen anschließend mit Übelkeit, Durchfall oder Erbrechen. Werden Gifte von weggeworfenen Zigarettenstummeln durch Regen ausgeschwemmt, können sie auch in unser Trinkwasser gelangen und dieses belasten.
Schwedisches Start-Up macht sich Intelligenz von Krähen zunutze
Im Sinne der Gesundheit von Menschen und Umwelt ist also klar: weggeworfene Zigarettenstummel müssen verschwinden. Der Schwede Christian Günther-Hanssen vom Start-up „Corvid Cleaning“ hatte nun die zündende Idee, sich dabei die Intelligenz von Krähen nützlich zu machen. Sie sollen zukünftig in der schwedischen Stadt Södertälje als Müllsammler dienen und Zigarettenreste einsammeln. Ein Belohnungssystem gibt ihnen dafür den nötigen Anreiz. Der Plan: in der Stadt werden Maschinen aufgestellt, die automatisch Futter in Form von Nüssen auswerfen, wenn Krähen oder Raben Zigarettenstummel oder andere kleine Müllteile dort abladen. Anfangs sollen darauf dressierte Tiere diesen Job erledigen, dann wird nach und nach die wildlebende Verwandtschaft einspringen.
Denn die Vögel beobachten das Verhalten ihrer Artgenossen und lernen schnell. Dabei verblüffen sie Verhaltensforscher immer wieder aufs Neue. 2020 konnten der österreichische Biologe Markus Böckle und sein Team zeigen, dass Krähen nicht nur verschiedenstes Werkzeug verwenden oder für ihre Zwecke anpassen, sondern sogar planen, wann sie welches Hilfsmittel brauchen.
Die Forscher testeten, wie Krähen sich als Nahrung begehrte Fleischstücke mittels Werkzeuge zugänglich machten. Die Leckereien befanden sich dafür einerseits in einer Vorrichtung, die mit einem Holzhaken aufgesperrt werden musste, andererseits in einem Apparat, der mittels Einwurfs eines Steines die Nahrung freigab. Den Krähen hatte man zuvor beigebracht, wie die Werkzeuge funktionieren. In der ersten Runde sollten die Krähen zunächst versuchen ohne Werkzeug an die Fleischstücke zu gelangen.
In der zweiten Runde fanden die Krähen einen Holzhaken, einen Stein, nutzlose Gegenstände als Ablenkung und ein Apfelstück vor. Obwohl Krähen Apfelstücke als Nahrung auch nicht verschmähen, wählten die Vögel in den meisten Fällen Haken und Stein, selbst wenn einige Zeit zwischen der Auswahl der Werkzeuge und deren Anwendung verging.
Krähen wissen, welche Hilfsmittel sie benötigen
Darüber hinaus fand vor kurzem ein Wissenschaftlerteam der schottischen Universität St. Andrews und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz heraus: Krähen gehen auch besonders sorgsam mit ihrem Werkzeug um. Das Forscherteam rund um die Verhaltensforscherin Barbara Klump zeigte den Tieren in einem ersten Schritt verschiedene Werkzeuge, nur ein paar von diesen waren mit einem Haken versehen. Bald wurde ersichtlich: die meisten Tiere wählten genau diese Werkzeuge mit Haken aus.
Offenkundig ist den Krähen klar, mit welchem Hilfsmittel sie schneller zu ihrem Ziel gelangen. In einem zweiten Schritt erwies sich, dass für die Hakenwerkzeuge eher ein Versteck oder eine Möglichkeit gesucht wurde, diese festzuhalten und so nicht zu verlieren. Die Tiere also auch wussten, wie „wertvoll“ das Hilfsmittel für sie ist.
Müll in Form von Zigarettenstummeln einzusammeln, sollte für die intelligenten Tiere also kein Problem sein. Und ist es auch nicht, wie sich am Beispiel dressierter Saatkrähen in Frankreich zeigte. Sechs dieser Vögel kamen 2018 im Freizeitpark „Puy du Fou“ als Müllsammler zum Einsatz. Für jedes eingesammelte Stück Abfall winkte den Tieren eine Belohnung. Auch hier stellten die Krähen einmal mehr ihre Intelligenz unter Beweis. Sie versuchten den Automaten mit kleinen Holzteilchen auszutricksen und so an das Futter zu kommen.
Tierische Müllabfuhr: Sammler wider Willen
Von der effizienten Arbeit der tierischen Müllabfuhr (die Rede ist von einem Eimer in einer Dreiviertelstunde) verspricht sich der schwedische Start-up Gründer eine gewaltige Kostenersparnis. Für die Säuberung der öffentlichen Plätze und Verkehrsstraßen gibt die Kommune jährlich rund 1,9 Millionen Euro aus. Drei Viertel der Kosten für das Zigarettenstummel-Einsammeln sollen nun durch die Krähen eingespart werden. Jeder eingesammelte Zigarettenstummel, könnte für die Stadt eine Einsparung von zwei Cent bedeuten.
Dass Tiere von Menschen verursachten Müll, der ihnen schaden kann, nun auch noch wegräumen sollen, bleibt jedoch ein großer Kritikpunkt an der innovativen Idee. Der an der Uni Wien tätige Kognitionsbiologe Thomas Bugnyar spricht sich deshalb dafür aus, dass unbedingt auch untersucht werden sollte, wie sich das Müllsammeln auf die Gesundheit der Vögel auswirkt. Nicht auszudenken wäre, wenn die Krähen die giftigen Zigarettenstummel beim Einsammeln verschlucken.
Denn Tiere sind oft genug Müllsammler wider Willen und bezahlen dabei häufig mit ihrem Leben. Erst kürzlich warnte der an der britischen Universität Portsmouth forschende Plastikexperte Steve Fletcher vor einem akuten Müllproblem durch die seit der Corona-Pandemie viel benutzen Schutzmasken. Denn die meisten Masken sind seinen Untersuchungen zufolge aus langlebigem Plastik produziert und könnten in der Umwelt Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte überdauern. Tiere können sich an den Masken verschlucken und in schlimmsten Fall daran verenden. Außerdem ist zu erwarten, dass das in den Masken enthaltene Mikroplastik in Erde oder Wasser gelangt und so für Mensch wie Tier ein Gesundheitsrisiko darstellt.
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