Dutzende Wolfsrudeln haben sich in Österreich wieder angesiedelt, fast wöchentlich kommt es zu Sichtungen auch im siedlungsnahen Bereich. Bekannt ist etwa der Fall von einem Wolf in der kleinen Ortschaft Pürbach im Waldviertel, der am helllichten Tag durch ein Dorf marschierte. Eine Ausnahme, aber doch ein Symptom dafür, dass sich etwas ändert. Und tatsächlich kommt es derzeit zu einem Umdenken in der Bevölkerung.
Denn nicht nur Bäuerinnen und Bauern fragen sich, wie sie ihre Almbewirtschaftung in Einklang bringen sollen mit der Ausbreitung der Wölfe, auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger sorgen sich, ob ein gefahrloses Zusammenleben mit dem Raubtier möglich ist. Zwischenfälle mit Menschen sind in Österreich nicht dokumentiert, aber Berichte aus anderen Ländern führen zu Verunsicherung.
Die Zeiten ändern sich: Der Wolf ist in Europa nicht mehr bedroht
Vor kurzem hat oekoreich-Sprecher Sebastian Bohrn Mena dazu Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig zum Gespräch geladen. In einer Sonderausgabe des oe24-Formats „Unsere Tiere“ wurde intensiv über den Wolf, die Stimmung unter den Landwirten und die Perspektiven in Österreich und der Europäischen Union gesprochen. Dabei stellte der Minister gleich zu Beginn klar, dass die Zeiten sich geändert haben:
„Wenn wir über den Wolf reden, dann reden wir über ein Tier, von dem es mehr als 19.000 Exemplare in Europa gibt – mit enormen jährlichen Wachstumsraten. Dieses Raubtier ist nicht mehr vom Aussterben bedroht.“ Tatsächlich zeigt eine aktuelle Übersicht, wie weit sich die Wölfe in Österreich bereits ausgebreitet haben, insbesondere im Waldviertel und im Süden Österreichs, wie ein Blick auf die Karte zeigt. Doch nicht nur dort und das sei ein Problem, so der Minister.
Es geht um ein sinnvolles Miteinander
Der Vorwurf, dass es der Bauernschaft um die Ausrottung der Tiere gehe, weise er entschieden zurück. „Es geht nicht ums Ausrotten, es geht um Hausverstand beim Naturschutz.“ Es gehe um ein sinnvolles Miteinander, das die besondere Topographie und Landwirtschaft in Österreich berücksichtigt und den Erhalt der Kulturlandschaft nicht gefährde. Der Wolf könne einen Platz in der Alpenrepublik haben.
Aber eben nicht überall, sondern in klar abgegrenzten Bereichen. Das EU-Land Schweden könne hier nach Meinung des Ministers als Vorbild für Österreich fungieren. in diesem Land gibt es klar definierte Regionen, in denen der Wolf in gewisser Bestandsgröße leben kann, in anderen wiederum steht die landwirtschaftliche Nutzung von Flächen im Vordergrund. Die Bestandsregelung funktioniert in Schweden gut.
Almbewirtschaftung in Gefahr – auch zum Nachteil des Tierwohls
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen auf europäischer Ebene angepasst werden, immerhin sei der derzeit gültige Gesetzesbestand auf dem Niveau von vor 30 Jahren. Damals war die Population der Wölfe in Europa allerdings auf einem ganz anderen Niveau. Der Wolf sei vor allem für die Landwirtschaft in Bergregionen ein Problem. Viele kleine Almen, auf denen im Sinne des Tierwohls und auch der Artenvielfalt verschiedene Tiere wie Kühe oder Schafe ihre Zeit verbringen können, sind bedroht – weil der Aufwand, sie vor dem Wolf zu schützen, einfach nicht ökonomisch oder personell darstellbar ist.
Bäuerinnen und Bauern überlegen daher die Almbewirtschaftung einzustellen, was sich auch nachträglich auf die Kulturlandschaft und die Ernährungssouveränität auswirken würde. Immerhin macht der Tourismus einen großen Teil der Wertschöpfung im Land aus und der lebt von der Vitalität des ländlichen Raums. Ein Zielkonflikt: Soll die Ausbreitung des Wolfes zu Lasten der Weidehaltung gehen?
Ein Thema, das uns noch weiter beschäftigen wird. Die gesamte Sendung kann man hier nachsehen.
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