Nach dem Vorbild der Shell-Jugendstudie, die in Deutschland alle zwei Jahre durchgeführt wird, gibt es nun erstmals auch eine Jugendstudie für Österreich. 14 Pädagogische Hochschulen haben sich zusammengeschlossen, um die Lebenswelten und Werthaltungen junger Menschen zu erfassen. Der Fragebogen ist an die Shell-Jugendstudie angelehnt, jede Pädagogische Hochschule konnte einen zusätzlichen Fragebogen erstellen. Die Hochschule für Umweltpädagogik hat die Themen Landwirtschaft und Ernährung näher beleuchtet. Für oekoreich hat Journalistin Christina Höfferer mit dem Studienautor Leopold Kirner gesprochen.
oekoreich: Sie haben eine sehr umfangreiche Datensammlung erstellt, österreichweit 14.432 junge Menschen befragt, jeweils ungefähr 45 Minuten, also eine Schulstunde lang. Warum haben Sie gerade die Altersgruppe zwischen 14 und 16 Jahre ausgewählt?
In dieser Altersgruppe werden viele Weichen in Hinblick auf Schule und Ausbildung gestellt, der Körper verändert sich stark, und auch das Sozialverhalten.
oekoreich: Unterscheidet sich der Wertekanon der Schüler*innen landwirtschaftlicher Schulen von jenem anderer Schüler*innen?
Meine Schlussfolgerung lautet: Die Jugend vom Land tickt ähnlich wie alle Jugendlichen in Österreich, was etwa die Themen Erwartungen an den Beruf und Erwartungen an eine Partnerschaft betrifft: Beziehungen sind sehr wichtig, eine gute Ausbildung und Freundinnen und Freunde im Umfeld zu unterstützen. Die drei wichtigsten Anforderungen an eine Partnerschaft sind Treue, sich aufeinander verlassen zu können und gemeinsam Spaß zu haben.
oekoreich: In der Studie konnten Sie jedoch auch interessante Unterschiede im Hinblick auf das Freizeitverhalten junger Menschen in agrarischen Schulen und anderer Jugendlicher herausarbeiten.
Die Jugendlichen, die agrarische Schulen besuchen, sind stärker in der analogen Welt vernetzt. Sie treffen sich häufiger mit Freunden in der realen Welt und beschäftigen sich häufiger mit Tieren, sie halten sich deutlich mehr in der Natur auf. Sich in der Natur aufzuhalten, rangiert bei den Schüler*innen landwirtschaftlicher Schulen an fünfter Stelle, und bei allen Schülerinnen und Schülern insgesamt nur an zehnter Stelle. Das sind markante Unterschiede.
oekoreich: Was die Leitung landwirtschaftlicher Betriebe betrifft, gibt es einen großen strukturellen Unterschied im Vergleich zur EU: In Österreich führen viel mehr junge Landwirt*innen, die Höfe als im Rest der EU.
Ja, unsere Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter sind jünger als der Schnitt in der EU. Innerhalb der EU gibt es ein Nord-Süd-Gefälle, je weiter im Süden, desto älter sind die Betriebsleiter.
oekoreich: Das heißt, die Jugendlichen, die sie interviewt haben, werden ziemlich bald einsteigen in den tatsächlichen Betrieb. Wie hoch ist da die Bereitschaft zur Betriebsübernahme?
Wir haben 4181 junge Menschen im agrarischen Schulwesen befragt. 57 Prozent kommen von einem Hof, 43 Prozent nicht. Diese 4181 haben wir dann auch gefragt: „Wollen Sie oder werden Sie gerne mal den Hof übernehmen?“ Knapp 48 Prozent, knapp die Hälfte gesagt, dass sie gerne mal den Hof übernehmen. Und die habe ich auch als sogenannte Hofübernehmer*innen tituliert.
oekoreich: Viele Schüler*innen einer landwirtschaftlichen Schule haben aber keinen Hof, den sie übernehmen können, warum besuchen sie eine landwirtschaftliche Schule?
43 Prozent kommen nicht von einer Landwirtschaft, dieser Anteil ist in den letzten Jahren gewachsen. Wir haben das landwirtschaftliche Schulwesen dadurch so gut erhalten und weiterentwickeln können, weil wir auch junge Menschen von außerhalb der Landwirtschaft gewonnen haben, das muss auch so sein, sonst würde uns das landwirtschaftliche Schulwesen verhungern, denn die Betriebe werden ja laufend weniger.
oekoreich: Warum läuft das agrarische Schulwesen so gut und ist auch sehr attraktiv für Schüler*innen, die nicht von einem Hof kommen?
Das agrarische Schulwesen hat in Österreich einen guten Ruf. Das sind einfach gute Schulen, die schneiden in der Zentralmatura immer relativ gut ab, sind auch mit Internat und was die Sozialisation betrifft, sehr beliebt. Eltern schicken ihre Kinder gerne hin, und Arbeitgeber wollen diese jungen Menschen auch gerne haben. Daher ist es ein sehr stabiles Schulwesen, obwohl die Landschaft laufend abnimmt.
oekoreich: Was sagt die Studie in Bezug auf die Einstellung der zukünftigen Landwirt*innen aus, wenn wir etwa an das Tierwohl denken?
Wir haben unserer Schüler*innen im agrarischen Schulwesen gefragt: Was ist dir in Bezug auf Landschaft wichtig? Da haben wir mehrere Punkte vorgegeben. An erster Stelle steht für die zukünftigen Landwirt*innen Die Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln zu versorgen. Das ist wenig überraschend, denn es ist die Kernaufgabe der Landwirtschaft. Aber schon an zweiter Stelle kommt eine Landwirtschaft mit hohen Standards für Nutztiere.
Für 50 Prozent der Befragten ist das sehr wichtig. Das Spannende bei dieser Frage ist, dass es da keinen Unterschied zwischen Mädchen und Burschen gibt, und es gibt auch keinen Unterschied zwischen jenen, die mal einen Hof übernehmen wollen, und jenen die mal keinen Hof übernehmen, oder auch nicht von einer Landwirtschaft kommen.
oekoreich: Wie interpretieren Sie diese hohe Bewertung der Standards für Nutztiere von Seiten der Jugend?
Ich schließe daraus, dass das Tierwohl zunehmend wichtig ist. Alle weiteren Punkte wie eine kosteneffiziente Landwirtschaft, oder eine Landwirtschaft, die zum kulturellen Leben beiträgt und so weiter, kommen nach dem Tierwohl.
oekoreich: Es gab ja Zeiten, da galten die Bauern in der EU überspitzt gesagt als Landschaftspfleger oder Gärtner der Kulturlandschaft. Wie sieht das heute aus?
Das hat sich schon sehr gewandelt. Auch in der EU-Agrarpolitik ist jetzt das Ziel, dass wir konkurrenzfähig sind. Jetzt spielen Biodiversität, Klimawandel und Ressourcenschutz eine Rolle in der Produktion. Selbst wenn man die Bevölkerung fragt „Was ist die wichtigste Aufgabe der Landwirtschaft?“, dann ist es nicht, die Landschaft zu pflegen. Die wichtigste Aufgabe ist, gesunde Lebensmittel hervorzubringen, also zu produzieren.
oekoreich: Die jungen Bäuerinnen und Bauern setzen auch auf Qualität, das hat ja Ihre Studie auch gezeigt.
Qualitätsproduktion mit allen Konsequenzen fällt nicht vom Himmel, sie muss erarbeitet werden. Der Markt muss auch erarbeitet werden. Das steht ganz hoch im Kurs von kommenden Betriebsleiter*innen. Das ist für uns von der Hochschule ein wichtiges Ergebnis für die Ausbildung künftiger Lehrkräfte und Berater. Qualitätsproduzent zu sein heißt, dass man sich selber einen Markt findet.
Es braucht eine gute Idee, ein qualitativ hochwertiges Produkt und gute Vermarktung. Das hat sehr viel mit Eigeninitiative zu tun. Da sehe ich einen Paradigmenwechsel. Wir haben der ganzen Master in unserer Hochschule mehr in Richtung Wertschöpfung ausgerichtet, in Richtung unternehmerische Kompetenz, Qualität, Strategien und Wertschöpfungsketten.
oekoreich: Wie geht es weiter mit der Jugendstudie?
Wir wollen das jetzt alle fünf Jahre machen, um auch eine Längsschnitt Studie daraus erkennen zu können, um Schlüsse zu ziehen. Wie verändert sich die Jugend, was entsteht, was wird anders? Das sind spannende Fragen.
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