Wann immer es um notwendige Reformen der Landwirtschaft geht, wann immer über mehr Tierwohl und Naturschutz diskutiert wird, kommt von gewissen Seiten die „Geld-Keule“: Es wäre schlicht nicht leistbar, den Tieren den Platz zuzugestehen, den sie für ein Leben frei von Angst und Schmerzen benötigen. Es wäre nicht leistbar, auf gentechnisch verändertes Soja aus dem brandgerodeten Regenwald zu verzichten. Und so weiter.
Beim Experten-Hearing im Rahmen der Behandlung des Tierschutzvolksbegehrens im österreichischen Nationalrat, stand die Frage nach den Mehrkosten für eine tiergerechte Landwirtschaft daher auch im Mittelpunkt. Die Abgeordneten der Parlamentsfraktionen wollten wissen, was die Umsetzung der Forderungen des Tierschutzvolksbegehrens nun konkret kosten würde, ob es also überhaupt leistbar wäre, was hier verlangt wird.
Experten geben Auskunft im Nationalrat
Die geladenen Experten Prof. Werner Zollitsch von der Universität für Bodenkultur und Prof. Leopold Kirner von der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik waren die zentralen Ansprechpersonen dafür. Prof. Kirner hat erst kürzlich eine Studie veröffentlicht, die solides Datenmaterial auf den Tisch liegt und insbesondere für den Bereich der Schweinemast, wo Zahlen sonst Mangelware sind, erstmals Berechnungen aufweist.
Die Antworten der Experten waren verblüffend: Etwa 250 Million Euro würde etwa der „Totalumbau“ der Schweinemast kosten, so Professor Kirner. Das würde allerdings nur anfallen, wenn alle Schweineställe neu gebaut werden müssten – ein unrealistisches Szenario. Viel wahrscheinlicher ist, dass bestehende Ställe langsam auslaufen und alle neuen Ställe von Anfang an auch nach echten Tierwohl-Anforderungen gebaut werden.
Vorbild Deutschland
Nicht berechnet wurden hingegen bislang die Kosten für Änderungen in der Milchwirtschaft und beim Geflügel. Hierzu kann das Vergleichsland Deutschland herangezogen werden, wo die Landwirtschaft im Gegensatz zu Österreich in weiten Teilen schon Richtung Massentierhaltung unterwegs ist und daher wesentlich mehr Aufwand betrieben werden müsste, um einen tier- und umweltgerechten Standard zu erreichen.
Die Borchert-Kommission hat berechnet, dass der Fortschritt in der deutschen Landwirtschaft über einen Zeitraum von 10 Jahren ungefähr 40 Milliarden Euro benötigen würde. Umgerechnet auf Österreich, wo man gemeinhin mit dem Faktor 1:10 rechnet, wären das 400 Millionen Euro für einen zehnjährigen Transformationsprozess. Eine Summe, die geradezu lächerlich scheint im Vergleich zu sonstigen Ausgaben.
Was sind uns Tiere, Natur und Bauern wert?
Nicht vergessen werden darf, dass es uns viel, viel teurer kommt, wenn wir die kleinbäuerliche Landwirtschaft verlieren. Denn die Negativ-Effekte, die der Verlust an ländlicher Vitalität und Abhängigkeit von Importen ausmacht, gerade für eine Tourismusnation wie Österreich, übersteigen die nötige Investitionssumme wohl um ein Vielfaches. Auch die Folgekosten der Klimakrise, gerade für die Landwirtschaft, sollten berücksichtigt werden, auch hier hilft die ökologische Transformation.
Am Ende muss sich eine aufgeklärte Gesellschaft im Jahr 2021 aber die Frage stellen, was ihr das Wohlergehen von Lebewesen wert ist. Eine Woche Lockdown während der Corona-Krise hat nach Ansicht von Experten rund eine Milliarde Euro gekostet. Eine einzige Woche. Wenn man das in Relation setzt, dann begreift man, wie wenig es eigentlich kosten würde, einen würdevollen Zustand im Umgang mit Tieren herbeizuführen.
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