Rund 60% der EU-Bürger*innen sind bereit einen höheren Preis für tierwohlfreundliche Produkte zu bezahlen. Unter genauerer Betrachtung ist das allerdings leichter gesagt als getan, denn zwischen Theorie und Praxis gibt es oft große Unterschiede. Auch wenn Konsument*innen in Umfragen angeben, dass sie teurere Produkte wählen, die ein besseres Tierwohl versprechen, so muss sich diese Einstellung nicht zwingend im tatsächlichen Einkaufsverhalten widerspiegeln. In diesem Artikel dreht sich alles um die Frage wie viel Tierwohl kosten darf und welche Faktoren einen Einfluss auf diese Zahlungsbereitschaft haben.
Mein Name ist Chiara Brammer und ich verfasse aktuell meine Masterarbeit zum Thema Tierwohl und Gütesiegel. Mein Ziel ist es, mit meiner Abschlussarbeit das Tierwohl in Österreich zu steigern, indem ich nachhaltiges Konsumverhalten erforsche und Lösungsansätze dazu entwickle. Bei diesem Beitrag handelt es sich bereits um den zweiten Teil meiner exklusiven Artikelreihe für oekoreich. Hier gibt es auch den ersten Artikel zum Nachlesen.
Wie erkennt man Tierwohl beim Einkaufen?
Bevor das Thema Zahlungsbereitschaft genauer unter die Lupe genommen wird, folgt ein Überblick zum Wissensstand der Konsument*innen. Bei meiner Recherche bin ich auf verschiedene Studien gestoßen, die zeigen, dass Tierwohl deutlich komplexer ist, als es auf den ersten Blick zu sein scheint. Wie bereits erwähnt, sind zwar viele Menschen bereit einen Aufpreis für ein besseres Tierwohl zu bezahlen, haben aber Schwierigkeiten diesen Vorsatz auch in ihr Konsumverhalten einfließen zulassen.
Das liegt unter anderem an der mangelnden Transparenz und Vergleichbarkeit von tierischen Lebensmitteln, bei denen man nur schwer erkennt wieviel Tierwohl in den Produkten steckt. Viele Menschen wissen nicht, dass es Kennzeichnungen für besseres Tierwohl gibt, oder aber die Labels sind zu komplex und werden nicht von allen verstanden. Ein bekanntes Beispiel ist die Kennzeichnung von Eiern. Auch in Österreich findet man auf Eiern, sofern sie nicht aus dem Garten stammen, eine Zahl, die Aufschluss über die Haltungsform der Hühner gibt. Dabei wird zwischen folgenden Ziffern unterschieden:
· 0 = Bio-Haltung
· 1 = Freilandhaltung
· 2 = Bodenhaltung
· 3 = Käfighaltung
Die Käfighaltung ist in Österreich seit Jänner 2020 verboten, weshalb es heute keine Eier mit der Nummer 3 mehr zu kaufen gibt. In einer spanischen Studie konnten nur 21% der Befragten die Ziffern richtig zuordnen, was wiederum die Frage aufwirft, ob das Wissen der Konsument*innen noch zu gering ist, um bewusste Kaufentscheidungen treffen zu können.
Auch die Komplexität und Vielfalt an Produktinformationen erschwert uns Konsument*innen oft unsere Entscheidungen. So gibt es in Österreich keine einheitlichen Kennzeichnungen, mit deren Hilfe man die Haltung von Schweinen, Rindern, und anderen Nutztieren (ausgenommen Legehennen) erkennen und auseinanderhalten kann. Abhilfe sollen Gütesiegel schaffen, die für ein besseres Tierwohl stehen. Doch genau hier findet man sich als Konsument*in oft im Gütesiegeldschungel wieder und kann die einzelnen Siegel nur schwer vergleichen. Umwelt- und Tierschutzorganisationen entwickeln dafür oft eigene Siegel oder erstellen Vergleichsmöglichkeiten und Studien.
Greenpeace hat im Rahmen einer Gütezeichenanalyse verschiedene Siegel gegenübergestellt und auf deren Vertrauenswürdigkeit überprüft. AMA-Bio, Bio-Austria, Demeter, Prüf nach! und Wiesenmilch sind dabei die einzigen Siegel die als sehr vertrauenswürdig und besonders nachhaltig eingestuft wurden. Für Konsument*innen ist eine derartige Urteilsfindung ohne Hilfestellung von NGOs nur schwer möglich. Das zeigt sich auch in internationalen Studien, denen zufolge sich rund 64% der EU-Bürger*innen mehr Informationen zu Haltungsformen und Tierwohlbedingungen von Nutztieren wünschen.
Willingness to Pay - so viel darf Tierwohl kosten
Nun stellt sich die Frage, was Tierwohl den Konsument*innen überhaupt wert ist und ob das, was sie bereit sind zu zahlen, auch wirklich in die Tat umgesetzt wird. Bei meinen Recherchen bin ich auf viele verschiedene Studien gestoßen, die sich mit der sogenannten Willingness to Pay auseinandersetzen, also der Zahlungsbereitschaft. Wie bereits einleitend erwähnt, sind knappe 60 Prozent der Konsument*innen innerhalb der EU bereit mehr für Produkte zu bezahlen, die ein höheres Tierwohl versprechen.
Einen Aufpreis von 5 Prozent hält dabei rund ein Drittel für angemessen. Je höher der Preisaufschlag wird, desto weniger Menschen sind bereit diesen zu bezahlen. Doch was ist mit den übrigen 40 Prozent, die nicht für ein höheres Tierwohl bezahlen möchten? Naheliegend ist, dass die persönliche finanzielle Situation einen großen Einfluss darauf hat. Hinzu kommt, dass viele Menschen die Verantwortung für ein besseres Tierwohl nicht in ihrer Verantwortung sehen, sondern in der von Regierungseinrichtungen.
Demzufolge müssten jegliche Kosten, die für die Landwirtschaft durch die Optimierung der Haltungsbedingungen entstehen, durch staatliche Förderungen und Subventionen ausgeglichen werden, um sich nicht im Kaufpreis der Produkte niederzuschlagen. Deutschland verfolgt bereits ein ähnliches System mit der sogenannten "Initiative Tierwohl". Bereits über 10.000 landwirtschaftliche Betriebe nehmen in Deutschland an der Initiative teil und setzen damit neue Maßstäbe für ein besseres Tierwohl von Nutztieren.
Die Kosten, die für die Verbesserung des Tierwohls entstehen, werden dabei von der Initiative Tierwohl kompensiert, indem mit Schlachthöfen und Handelspartnern Vereinbarungen getroffen werden und die Kosten entlang der Wertschöpfungskette aufgeteilt und weitergegeben werden.
Unterschiedliche Kriterien je Produktart
Neben finanziellen Aspekten und der Frage der Verantwortlichkeiten fließen auch andere Produkteigenschaften in die Kaufentscheidung und die Zahlungsbereitschaft der Konsument*innen mit ein. Je nach Produktart kommen unterschiedliche Kriterien zu tragen, die letztendlich einen Kauf bewirken. Bei Schweinefleisch spielen beispielsweise der Fettgehalt, die Herkunft und die Farbe des Fleisches eine wichtige Rolle. Konsument*innen müssen daher beim Kauf selbst abwägen, was ihnen wichtiger ist und für welche Produkteigenschaft sie mehr Geld ausgeben möchten.
Die Frage, wieviel Tierwohl im Einkaufswagen wert ist, lässt sich also nicht so einfach beantworten. Viele verschiedene Faktoren beeinflussen uns Konsument*innen und unsere Kaufentscheidungen. Wenn der Wille für ein besseres Tierwohl und die Bereitschaft dafür zu bezahlen besteht, dann müssen wir das nur noch in die Tat umsetzen. Diverse Guides von namhaften Tierschutzorganisationen liefern einen Überblick zu verschiedenen Gütesiegeln, um uns die Kaufentscheidung im Geschäft zu erleichtern. Oft sind die Preisunterschiede marginal, die Wirkung aber bereits enorm für viele tausende Nutztiere in unserem Land.
Nächste Schritte
Als nächster Schritt folgt die Fertigstellung des Theorieteils meiner Masterarbeit sowie die Ableitung einer Forschungsfrage und entsprechender Hypothesen. Aufbauend darauf erstelle ich Fragebögen für Expert*inneninterviews, um möglichst praxisnah eine Tierwohlskala zu erstellen. Diese fungiert wie ein Gütesiegel, soll durch ihre Einfachheit aber insbesondere den direkten Vergleich mit anderen Produkten ermöglichen. Nachgelagert folgt eine Umfrage, die sich an Konsument*innen richtet und deren Einstellungen und Absichten diesbezüglich erhebt.
Ich halte Sie über meine Masterarbeit am Laufenden und freue mich die Ergebnisse später mit Ihnen zu teilen!
In eigener Sache: Wir arbeiten unabhängig von Parteien und Konzernen. Um unseren Fortbestand zu sichern, sind wir auf Abonnent*innen angewiesen. Bitte schließen Sie jetzt ein Abo ab und ermöglichen Sie damit unsere Berichterstattung. Danke!