Als Bundesministerin versammelt Leonore Gewessler ein weitläufiges Aufgabenfeld: Klima und Umwelt gehören dazu ebenso wie Energie, Mobilität und Technologie. Auch „Natur- und Artenschutz“ fallen in ihr Ressort. Welche Rolle dieser Bereich spielt und wie damit umgegangen wird, dieser Frage ist Paul Lohberger im Interview nachgegangen.
oekoreich: Eine allgemeine Frage zum Einstieg: Die Kategorien Ihres Ressorts sind jede für sich gewaltig. Klarerweise haben so große Themenfelder immer eine Schnittmenge. Da liegen die Agenden wohl nicht immer auf einer Linie, wie oft ist es so, dass es wiederstrebende Interessen und Bedürfnisse gibt – beispielsweise bei Verkehr und Umwelt?
Mein Ministerium wird in der Berichterstattung gerne als Superministerium bezeichnet. Denn es umfasst tatsächlich viele Bereiche: Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Forschung, Innovation und Technologie. Und ja, auch der Weltraum fällt in meine Zuständigkeit.
Die große Klammer, die alles umspannt, ist der Klimaschutz – er ist unsere historische Aufgabe. Denn wir sind die erste Generation, die die Folgen der Klimakrise hautnah spürt und die letzte, die noch etwas dagegen tun kann. Und dafür müssen wir alle Hebel nutzen, die uns zur Verfügung stehen.
Problemfelder als Potenziale
Der Verkehrs- und der Energiesektor beispielsweise sind enorme CO2 Emittenten, gleichzeitig liegt hier großes Potential im Kampf gegen die Klimakrise. Darum müssen wir unsere Mobilität klimafreundlich machen – unsere Art und Weise, wie wir uns fortbewegen also sozusagen vom Kopf auf die Füße stellen. Dafür bauen wir die öffentlichen Verkehrsmittel aus, fördern das Radfahren und die E-Mobilität und machen das Zufußgehen attraktiver. Das schafft enorme Lebensqualität und ist gut für die Umwelt und das Klima.
Im Energiesektor haben wir uns zum Ziel gesetzt, in Österreich bis 2030 nur mehr Strom aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Das bedeutet, wir müssen raus aus den fossilen Energieträgern und rein in die saubere Energie von Wind, Wasser, Sonne und Biomasse. Dafür haben wir das EAG – das Erneuerbaren Ausbau Gesetz – auf den Weg gebracht und gleichzeitig attraktive Förderprogramme für PV-Anlagen auf die Beine gestellt.
Sie sehen also, Klimaschutz, Umwelt, Mobilität und Energie sind kein Entweder-Oder. Im Gegenteil: Wir müssen den Klimaschutz in all unser Handeln integrieren. Und ich bin überzeugt davon, dass wir in einigen Jahren zurückschauen und feststellen werden, dass sich die mutigen Entscheidungen für den Klimaschutz ausgezahlt haben.
oekoreich: Welchen Platz hat Artenvielfalt auf der Agenda des BMK?
Der Erhalt der Artenvielfalt ist ein zentrales Thema im Klimaschutzministerium. Denn die Biodiversitätskrise ist neben der Klimakrise die zweite große Herausforderung, die uns begleitet. Die beiden Krisen sind auch unmittelbar miteinander verbunden. Denn der Klimawandel trägt enorm zum Verlust unserer Tiere und Pflanzen bei. Lebensräume werden zerstört, seltene Tiere und Pflanzen sterben aus. Unser Engagement gegen den Klimawandel schützt also auch unsere Artenvielfalt. Gleichzeitig verlangsamt eine intakte Natur die Erderhitzung. Denn gesunde Wälder und Böden sind wichtige CO2 Speicher.
Klimaschutz ist Artenschutz
Um unsere Artenvielfalt zu schützen und zu erhalten, erstellen wir gerade eine Biodiversitätsstrategie für Österreich. Darin erarbeiten wir klare Ziele und effektive Maßnahmen für unsere Natur. Das ist ein ganz wichtiger Meilenstein für die Zukunft unseres Landes und ein wichtiger Beitrag zum Schutz unseres Planeten.
oekoreich: Während Corona-, Wirtschafts- und Klimakrise sehr präsent sind, ist das Artensterben vergleichsweise wenig im Bewusstsein. Es ist aber in engem Zusammenhang mit der Klimakrise zu sehen (zB Absterben der Korallen bei Meereserwärmung, mit unabschätzbaren Konsequenzen im Ökosystem der Ozeane). Freilich ist das eine sehr globale Thematik. Ist diese in Österreich direkt greifbar?
Wir haben in Österreich eine unglaublich vielfältige Natur. Wir sind eines der artenreichsten Länder in Mitteleuropa, ca. 68.000 verschiedene Arten und annähernd 500 verschiedene Biotoptypen finden sich in Österreich. Das ist ein unglaublicher Schatz, den wir haben, und auf den müssen wir aufpassen. Denn sind Ökosysteme einmal zerstört oder Arten einmal ausgestorben, gibt es kein Zurück.
Artenreiches Österreich
Eine intakte Natur ist nicht nur unsere Lebensgrundlage, sie hat auch eine wichtige wirtschaftliche Komponente. Wir sind in vielen Bereichen von der Natur abhängig, beispielsweise der Tourismus, die Forst- und Holzwirtschaft, die Baubranche oder der Pharmaziebereich. Allein die Bestäubung unserer Kulturpflanzen durch Insekten stellt einen volkswirtschaftlichen Wert von 200 bis 300 Millionen Euro pro Jahr dar.
Eine intakte Natur schützt uns aber auch unmittelbar: Intakte Ökosysteme helfen, Naturkatastrophen zu vermeiden bzw. deren Auswirkungen zu mildern: Freifließende Flüsse mit Auwäldern puffern Hochwasserereignisse ab, intakte Bergwälder schützen vor Lawinen und Muren.
Biodiversität ist unsere Lebensversicherung. Es liegt auf der Hand, dass der Weg aus der Wirtschafts- und Gesundheitskrise auch ein Weg aus der Klima- und Biodiversitätskrise sein muss. Daran arbeite ich.
oekoreich: Wie geht man auf Basis der österreichischen Politik mit dem Artensterben um?
Wir haben uns im Regierungsprogramm ganz klar zum Erhalt der Artenvielfalt bekannt. Darin legen wir eine ganze Reihe an Maßnahmen für die Biodiversität in Österreich fest. Eine ganz zentrale Maßnahme ist die Entwicklung der neuen Biodiversitäts-Strategie für Österreich. Darin werden wir klar festlegen, welche Ziele wir in Österreich erreichen müssen und was es für den Erhalt der Artenvielfalt braucht. Mit dem Biodiversitätsfonds haben wir auch schon die ersten konkreten Maßnahmen für den Erhalt der Artenvielfalt geschaffen. Für 2021 haben wir erstmals 5 Millionen Euro für Biodiversitätsprojekte zur Verfügung gestellt. Und natürlich haben wir vor, diesen Betrag noch zu erhöhen.
oekoreich: Nach welchen Parametern oder Markern wird Artenschutz betrieben?
Die EU Biodiversitäts-Strategie 2030 sowie auch die globalen Biodiversitäts-Ziele geben uns die Zielrichtungen für den Erhalt der Artenvielfalt in Österreich vor. Die europäische und globale Ebene greifen dabei ineinander. Die EU-Biodiversitäts-Strategie 2030 ist der Vorschlag für den Beitrag der EU für die im Herbst anstehenden internationalen Verhandlungen zum Schutz der globalen Vielfalt. Österreich wird sich in diesen Verhandlungen für ambitionierte weltweite Ziele stark machen.
Spezifische Programme, gemeinsame Aktionen
In Österreich arbeiten wir neben der Erstellung der Biodiversitätsstrategie auch ganz stark an der Ausweisung und Vernetzung von Schutzgebieten, am Schutz der am stärksten gefährdeten Arten, an der Reduktion unseres Flächenverlustes und an der Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme. Aber auch die wissenschaftliche Forschung und das Monitoring sind sehr wichtig. Denn nur was wir verstehen, können wir auch effektiv schützen.
oekoreich: Wo gibt es konkrete Pläne, und welche sind das?
Wie bereits erwähnt arbeitet mein Ministerium derzeit an der nationalen Biodiversitätsstrategie. Die Entwicklung der Strategie ist ein partizipativer Prozess, der alle zuständigen Institutionen, betroffenen Stakeholder und die breite Öffentlichkeit einbindet. Wir werden daher den Entwurf der Strategie demnächst in der Nationalen Biodiversitätskommission beraten und fortentwickeln.
Mir ist dieser partizipative Prozess ein zentrales Anliegen. Denn Biodiversität betrifft so viele Lebensbereiche – vom Klimaschutz über den Tourismus bis hin zur Raumordnung, die ja bekanntlich bei den Gemeinden und Ländern liegt. Damit wir die Biodiversitätskrise also meistern können, müssen wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Das gelingt am besten, wenn wir alle Betroffenen einbinden.
oekoreich: Gibt es so etwas wie Notfallpläne?
Wir haben mit der Klimakrise und der Biodiversitätskrise einen historischen Auftrag, in dem wir uns kein Zögern oder keine Fehler erlauben sollten. Wir müssen jetzt handeln, denn wir haben nur diesen einen Planeten und den müssen wir schützen. Das ist ja auch kein Selbstzweck, sondern hier geht es um unsere Lebensgrundlage. Unsere Natur ist Basis für unsere Lebensmittel, unsere Medizin und unsere Rohstoffe fürs Bauen und Leben. Damit müssen wir achtsam umgehen.
Leonore Gewessler ist österreichische Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Von 2008 bis 2014 war sie Direktorin der Green European Foundation in Brüssel, von 2014 bis 2019 war sie Geschäftsführerin einer Umweltschutzorganisation.
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