„Es gibt keinen Klimanotstand!“ - Mit diesen aufgeregt in die Kamera gesprochenen Worten, unterlegt von dramatischer Musik und verstärkend auch noch in Schwarz-Weiß-Optik gehalten, beginnt das Video. Es kursiert aktuell im Netz, sorgt dort für viel Widerhall und wird von manchen als neuer starker Beweis dafür herangezogen, wieso „Mainstream“-Medien nicht ausgewogen über den Klimawandel berichten würden.
Die zentrale Botschaft des Videos lautet: Den Klimanotstand und die Klimakrise gibt es gar nicht. Die negativen Auswirkungen von Treibhausgasen wie Kohlendioxid auf das Klima würden übertrieben dargestellt und ihre positive Auswirkungen ignoriert. Erneuerbare Energien, etwa aus Windkraft, würden in der Zukunft scheitern und nicht nur Billionen an Schäden verursachen, sondern auch die Umwelt schädigen.
Youtube, HKCM
Gestaltet wurde das Video von Philip Hopf, seines Zeichens Geschäftsführer eines deutschen Unternehmens namens Hopf-Klinkmüller Capital Management, kurz HKCM. Dieses verdient sein Geld offenbar mit Analysen und Produkten zu Finanzanlagen. Herr Hopf verfügt offenkundig über keine Expertise im Klima- oder Umweltbereich, das hat er auch nie behauptet, sondern fungiert als eine Art „Volks-Aufklärer“ zu diversen Themen.
In der Vergangenheit hat er etwa das AfD-Wahlprogramm analysiert und dabei festgestellt, dass die rechtsextreme deutsche Partei diverse Steuern abschaffen möchte. Das strich Hopf lobend hervor: „Sehr viele Steuerentlastungen, hätte ich so nicht gedacht, finde ich gut“. Dass Krypto-Währungen im Programm nicht erwähnt wurden, das missfiel ihm allerdings. Andere Videos widmen sich etwa der vermeintlichen „Covid 19 Zensur“ bei Facebook oder der Übertragung der „kompletten Macht“ der deutschen Bundesregierung an die WHO.
„Quellen unabhängig prüfen“ – gesagt, getan
Das nun gegenständliche Video wurde auf dem Firmenkanal der „HKCM“ mit über 200.000 Abonnenten veröffentlicht und innerhalb von 24 Stunden rund 200.000 mal aufgerufen. Es trägt den Titel „Klimanotstand ist eine Lüge und Pseudowissenschaft! Nobelpreisträger Dr. John Clauser“. Darin will, wie der Titel schon sagt, Herr Hopf den Klimanotstand also als Lüge entlarven, aufbauend auf den Aussagen eines Nobelpreisträgers.
In dem Video selbst ruft er zu Beginn mehrfach dazu auf die Quellen, die er in weiterer Folge anführt und in den Kommentaren verlinkt, kritisch zu beäugen und sich eine eigene Meinung zu bilden. „Egal auf welcher Seite Sie stehen“, mahnt Hopf, wichtig wäre, dass man ihm zuhöre und dann die Quellen prüfe. Dieser Aufforderung sind wir gefolgt, denn wir wollten wissen, wer die Urheber der aufgestellten Theorien sind.
Das Fundament: Ein Verschwörungsblog ohne Impressum
Nach seiner Einleitung beginnt Hopf aus einem vermeintlichen Medienbericht vorzulesen, das Medium wird dabei aber nicht genannt. Dieser Text stellt gewissermaßen das inhaltliche Fundament des Videos dar. Der Beitrag trägt den Titel „PAUKENSCHLAG – Nobelpreisträger für Physik 2022 bezeichnet die Erzählung vom angeblichen „Klimanotstand“ als „Pseudowissenschaft“. Veröffentlicht wurde dieser am 14. Juli 2023 auf legitim.ch.
Dabei handelt es sich um einen nach Eigendefinition „privaten Newsblog“, herausgegeben von einem gewissen Jan Walter. Dieser wiederum bezeichnet sich selbst als „libertär“, ist also offen Anhänger einer weitestgehend staatsfeindlichen Gesinnung. Und scheinbar auch in Verschwörungstheorien verhaftet. So steht in einem Artikel auf seinem Blog: „Die unangenehme Realität ist, dass der Zugang der Menschen zu Energie und Ressourcen absichtlich eingeschränkt wird, und zwar durch eine gefälschte Klimapolitik, hohe Inflation, andauerndes geopolitisches Theater und vorsätzlich angezettelte Kriege.“
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Ein Impressum findet man auf dem Blog allerdings nicht. Unterstützt wird Jan Walter von Größen der Verschwörungsszene wie Oliver Janich oder Daniele Ganser, auch Impfgegner und Reichsbürger wie Daniel Prinz kommen auf seinem Blog zu Wort. Dort finden sich außerdem Sensationsmeldungen zu Heilbetten und Crypto-Währungen. Und weitere Enthüllungsberichte, in denen etwa die Rolle der „Rothschilds“ in der Klimabewegung kritisch hinterfragt wird. Eine Plattform also, die weder journalistischen noch sonstigen Ansprüchen genügt. Der Artikel wird von Hopf in dem Video einerseits vorgelesen, andererseits ergänzend kommentiert.
Genannt werden dabei namentlich mehrere Wissenschaftler aus aller Welt, die den Klimanotstand in Abrede stellen, die negative Wirkung von Treibhausgasen leugnen und ganz im Gegenteil die positiven Effekte unterstreichen. Sie werden angeführt, um zu untermauern, dass es keinen Konsens gebe. „Wissenschaft kennt keinen Konsens“ betont Hopf explizit in dem Video. Und dann geht es los.
Honorige Persönlichkeiten als „Kronzeugen“
Als erster Wissenschaftler wird da John Clauser genannt, ein US-amerikanischer Physiker, der im Jahr 2022 gemeinsam mit Anton Zeilinger und Alain Aspect mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. Seine Positionen zum Klimawandel hingegen sind umstritten. So hebt er die positive Wirkung von steigenden CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre hervor und widerspricht dem Stand der globalen Klimaforschung und kritisiert diese offen:
„Das populäre Narrativ über den Klimawandel spiegelt eine gefährliche Verfälschung der Wissenschaft wider, die die Weltwirtschaft und das Wohlergehen von Milliarden von Menschen bedroht. Die fehlgeleitete Klimawissenschaft hat sich zu einer massiven schockjournalistischen Pseudowissenschaft ausgeweitet.“
Genannt wird auch ein gewisser Antonino Zichichi. Der 94-jährige gebürtige Italiener ist unter anderem für das „Heartland Institute“ tätig, eine US-amerikanische Denkfabrik, die sich rigoros gegen gesetzliche Beschränkungen zum Schutz von Gesundheit, Umwelt und Klima einsetzt. Finanziert wird sie von US-Konzernen aus dem Tabakbereich und der Erdölindustrie.
In dem Video als weiterer „Kronzeuge“ genannt wird Iva Giaever, ein Nobelpreisträger aus Norwegen. Der ebenfalls 94-jährige Physiker ist bereits seit Jahren umstritten und zieht seine Expertise zum Klimawandel nach Selbstaussage aus einer halbtägigen Internetrecherche. Eine seinerzeit renommierte Persönlichkeit auf seinem Gebiet, nicht aber im Bereich Klima.
Und nicht zuletzt wird Fritz Vahrenholt als „Anführer“ jener Klimawissenschaftler in Deutschland genannt, die der gängigen Lehre zum menschgemachten Klimawandel und seinen katastrophalen Auswirkungen widersprechen würden. Vahrenholt war Vorstand der deutschen SHELL sowie einer Tochterfirma des milliardenschweren Energieversorgers RWE und ist nach wie vor Aufsichtsratsvorsitzender von Europas größtem Kupferhersteller. Als Gastredner tritt der ehemalige SPD-Politiker inzwischen bei der deutschen AfD auf.
US-Denkfabriken mit massivem Output
Das verbindende Element all dieser Personen, welche mit ihren Aussagen und ihrer Reputation die wissenschaftliche Basis für den Beitrag und somit für das Video bilden, ist die „CO2 Coalition“. Dabei handelt es sich um einen Think Tank, der von Peabody Energy, dem größten Kohle-Bergbauunternehmen der Welt, sowie von Superreichen wie der Familie Mercer oder den Gebrüdern Koch finanziert wird. Der Think Tank gilt inzwischen als Flaggschiff der weltweiten organisierten Klimawandel-Leugner-Szene.
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Das Dokument der 1.500 Unterschriften
Als „Beweis“ für die Relevanz der Gegenmeinung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft wird ein Dokument gezeigt, das von über 1.500 Klimawissenschaftlern unterzeichnet sein soll. Es stammt von der „Climate Intelligence Foundation“ (CLINTEL) und trägt den Titel „There is no climate emergency“. Das Dokument gibt es tatsächlich, auch diese niederländische Stiftung, nur wurde es inzwischen als klassischer Fall von Fake News entlarvt.
Denn die rund 1.500 Unterzeichner sind in vielen Fällen überhaupt nicht in der Wissenschaft, sondern vielmehr als Politiker, Lobbyisten oder Mitarbeiter von Konzernen aus Öl & Gasindustrie tätig. Keine einzige Person kann relevante Forschung im Bereich des Klimas vorweisen. Das Dokument sei „wissenschaftlich wertlos“, urteilt die Plattform Klimafakten.de. CLINTEL wiederum wird u.a. von Konzernen aus der fossilen Energie-Industrie finanziert.
Aus Österreich haben 5 Personen das Dokument unterzeichnet. Darunter Gerhard Kirchner, der sich selbst als „Bergingenieur“ bezeichnet und der Meinung ist, dass man „beim Bevölkerungswachstum ansetzen“ müsse. Die Klimakrise sei inszeniert, der Schwund der heimischen Gletscher nicht besorgniserregend, weil im langjährigen Vergleich normal. Weiters u.a. der Physiker Eike Roth, der den menschgemachten Klimawandel in eigenen Schriften leugnet, und ein Hans Dirk Struve, der nur als Impfpflicht-Kritiker auffindbar ist.
Bei der Durchsicht der Liste der deutschen Unterzeichner fällt wiederum auf, dass dort zahlreiche Eisenbahningenieure, Investment-Manager, Maschinenbauer und andere mit mehr oder weniger nachvollziehbaren akademischen Titeln ausgestattete Personen angeführt sind, die teils nicht im Entferntesten mit der Klimaforschung in Verbindung stehen. Vertreter*innen dieser Disziplin finden sich hingegen dort nicht.
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Bei der Begeisterung, mit der Philip Hopf und sein Unternehmen sich im Netz als „Aufklärer“ engagieren, kann fast nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sie es nicht besser wissen - auch wenn die Möglichkeit besteht. Vielmehr entsteht auf Basis des Videos aber der Eindruck, dass wissentlich die Desinformation der US-Fossilindustrie verbreitet wird. Doch warum macht man das? Und wer profitiert davon?
Die Antwort liegt auf der Hand: Diejenigen, die das Klima und die Umwelt schädigen. Das sind also genau jene Milliardäre und Konzerne, die auch die diversen Think Tanks finanzieren, die wiederum diese „alternativen Fakten“ produzieren, die dann von „Newsblogs“ ohne Impressum verbreitet werden. Und natürlich von Finanzanalysten, die schon mal angesichts eines herannahenden „Ölkriegs“ den Einstieg in den Ölmarkt empfehlen. Und mit ihrer Beratung und der Bekanntheit aus solchen Videos mutmaßlich gute Geschäfte machen.
Auffallend ist auch, dass sich die Positionen der deutschen AfD weitestgehend mit den Ansichten der Klimawandel-Leugner decken und diese Partei der Verbreitung in Deutschland mitunter gezielt Vorschub leistet. Wie bereits ein Faktencheck der ARD zum Wahlprogramm der AfD aus 2021 festhält, zweifelt die Partei an, dass die Industrie für den Wandel des Klimas maßgeblich mitverantwortlich sei.
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