Am 11. November – zum Tag des Heiligen Martin – landen traditionell Martinigänse auf Österreichs Tellern. Auch eine Tradition: Die jährlichen Berichte über die Qualen der Gänse durch Stopfmast und Lebendrupf. Diese Tierquälerei wird seit Jahren im wahrsten Sinne des Wortes billig in Kauf genommen. Eine Gans um 5 Euro pro Kilo hat sehr wahrscheinlich ein kurzes Leben voller Leid hinter sich, da sind sich Tierschützer*innen einig. Durch den überwiegenden Import nach Österreich hat sich bis zuletzt wenig an der desaströsen Situation der Tiere geändert. Kontrollen in den Herkunftsländern wie Ungarn, Polen oder China sind schwierig und der Handel in Österreich schiebt die Verantwortung über das Tierwohl dorthin ab.
Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten hat bereits vor einem Jahr zu den Martinigänsen eine Befragung gestartet. Das Marktforschungsinstitut Market hat 500 Österreicherinnen und Österreicher ab 16 Jahren dazu kontaktiert. Das Ergebnis spricht eine deutliche Sprache: 87 Prozent der Österreicher sind für eine Kennzeichnung der Gänse nach Herkunft und Form der Haltung im Handel und der Gastronomie. Außerdem sprechen sich 84 Prozent der Befragten gegen den Import von Tieren aus, die gestopft oder lebend gerupft wurden.
Stopfmast und Lebendrupf: Tierqualen unvorstellbar
Schon am Beginn des Lebens einer Stopfgans steht der Profit über dem Tierwohl. Am Fließband auf dem Weg zur Brüterei werden Männchen und Weibchen aussortiert. Weibliche Küken landen im Schredder oder werden vergast, da ihre Leber nicht im gleichen Ausmaß verfettet wie die ihrer männlichen Artgenossen. Letztere kommen in eine große Industriehalle mit Käfigen und werden dort meist mit gentechnisch verändertem Soja gemästet. Tageslicht oder Auslauf gibt es nicht. Jedoch werden die Tiere mit künstlichem Tageslicht angeregt, mehr und länger zu fressen.
Um jedoch die allseits bekannte Delikatesse „Foie Gras“ (Gänsestopfleber) zu bekommen, wird ein unvorstellbar qualvoller Vorgang durchgeführt. Bis zu drei Mal am Tag wird der Schnabel der Gänse mit einem Stahlrohr aufgespreizt und ihnen eine Mischung aus Maisbrei und purem Fett in den Rachen gespritzt, den sie unter Zwang schlucken. Dadurch nehmen die Tiere rasch zu, ihre Leber kann das Fett nicht verwerten – sie verfettet und wird bis zu zehn Mal so groß als unter normalen Umständen. Diese Zwangsernährung einschließlich steigender Futtermenge dauert durchschnittlich 21 Tage. Stopfmast geht mit erheblichen Verletzungen der Speiseröhre der Tiere einher, sie röcheln und bekommen kaum Luft.
Die Leber zieht durch ihren unglaublichen Umfang andere Organe in Mitleidenschaft. Zusätzlich führt die beengte Käfighaltung dazu, dass sich die Tiere gegenseitig beißen oder gegen die Gitterstäbe pressen. Mit der übermäßigen Verabreichung von Antibiotika in Futter und Trinkwasser versuchen Betriebe die misshandelten Tiere bis zur geplanten Schlachtung am Leben zu halten. So manche Gans verendet allerdings vorzeitig, die Sterblichkeit liegt mit 2 bis 4 Prozent deutlich höher als bei einer Haltung ohne Stopfmast (0,2 Prozent).
Doch Gänse leiden nicht nur unter dieser abscheulichen Art der Ernährung. Gänsedaunen – ein beliebter Rohstoff in Bettwäsche oder Daunenjacken – wird oft von gestopften oder lebend gerupften Tieren gewonnen. Das bedeutet, während die Tiere bei vollem Bewusstsein sind, werden ihnen mit der Hand an Hals, Rücken, Bauch und Brust ihr Federn aus dem Körper gerissen. Bis zu vier Mal in ihrem kurzen Leben müssen die Tiere diese Tortur über sich ergehen lassen. Je öfter, desto profitabler, denn das Gefieder wird nach mehrmaligem Rupfen immer weicher. Um möglichst viele Federn in kurzer Zeit zu rupfen, wird diese Arbeit schnell und brutal erledigt. Die häufige Folge sind Verletzungen und Wunden an den Tierkörpern, die oft nur notdürftig versorgt und nicht selten bei lebendigem Leib von den Akkordarbeitern genäht werden.
Tierschutz und seine vielen gesetzliche Lücken
Die Tierquälerei durch Stopfmast und Lebendrupf ist seit Jahrzehnten bekannt. In Österreich ist beides gesetzlich verboten. Auch auf der Ebene der Europäischen Union hat man sich gegen das Tierleid beim Füttern ausgesprochen. In der EU-Richtlinie 98/58CE ist festgehalten, dass „die Art des Fütterns und Tränkens keine unnötigen Leiden oder Schäden für die Tiere verursachen darf“. Absurd, aber wahr: Dennoch gestattet die aktuelle Gesetzeslage den Import und den Verkauf misshandelter Mastgänse innerhalb der EU.
Auch das lebendige Rupfen ist in der EU eigentlich seit 1999 gesetzlich verboten. Allerdings fand die Branche ein Schlupfloch. Unter dem Synonym „Lebendraufen“, eine vorgeblich für die Tiere angenehmere Art ihre Federn abzugeben, wird Lebendrupf bis heute praktiziert. Hierbei werden die Daunen während des jährlichen Abwurfs (Mauser) gewonnen, bei der die Gänse ihr Federkleid von selbst verlieren. Da jedoch nicht alle Tiere gleichzeitig ihre Federn verlieren, kommt es auch hier wieder zum Lebendrupf.
Von den gesetzlichen Schlupflöchern bei Lebendrupf profitieren vor allem Gänsefarmen in Ungarn, Polen und China. In Frankreich, Belgien, Bulgarien oder Spanien, den USA oder Kanada wiederum ist die Stopfmast nicht verboten. 2020 wurden in der EU 1 440 Tonnen Gänsestopfleber produziert. Hauptproduzent für die Gänse- und Entenstopfleber ist Frankreich mit über 75 Prozent. Innerhalb der EU konnte mit dem Handel dieser „Delikatesse“ 110 Millionen Euro erzielt werden. Der Export von Stopfleber aus der EU in Drittländer kam im Jahr 2020 auf 56 Millionen Euro. Die Verbrechen an den Tieren scheinen demnach ein gutes Geschäft zu sein.
Österreichischer Handel wirbt mit Versprechen
Sowohl SPAR als auch REWE (Billa) werben mit dem Versprechen „keine Stopfleber-Produktion oder Lebendrupf“. Herkunftsland der Gänse (entweder im Ganzen, als Gänsebrust oder -keule) ist zumeist Ungarn und hier vielfach die Marke „Golden Food“. Bei 4,99 Euro per Kilo bzw. 13,99 Euro für Gänsebrust oder Keule kommen Zweifel auf, inwiefern die Tierhaltung in Ungarn artgerecht war. Metro Gastronomie bietet die Gänsekeule inklusive Beilagen um 8,90€ an und verspricht:
„Methoden, die mit dem Tierschutz nicht im Einklang stehen, werden von METRO vehement abgelehnt, weshalb ausschließlich Gänse aus Schlachthöfen in den Verkauf genommen werden, die als unbedenklich eingestuft und somit für den verantwortungsbewussten Großhandel freigegeben wurden. METRO distanziert sich ausdrücklich von unseriösen Methoden, die in manchen Schlachthöfen angewendet werden, und verurteilt Praktiken, die geeignet sind, den Tieren unnötiges Leid zuzufügen.“
Auffällig ist, während im Einzelhandel die Herkunft gekennzeichnet ist, fehlt diese in der Gastronomie zuhauf. Der Grund: Seit 2015 gilt ausnahmslos eine strenge EU-Verordnung (Lebensmittelinformationsverordnung). Bei frischem, gekühltem oder tiefgefrorenem Fleisch von Schweinen, Schafen, Ziegen oder auch Hausgeflügel (wozu die Gans zählt) muss die Herkunft verpflichtend angegeben sein. In der Gastronomie ist die Herkunftskennzeichnung jedoch weiterhin freiwillig.
Das sorgt auf politischer Ebene immer wieder für Diskussionsstoff. Zuletzt hatte sich Bundesminister Wolfgang Mückstein im Jahr 2021 auf der Rieder Messe dafür ausgesprochen. Sein Nachfolger Johannes Rauch ist ebenso für die Kennzeichnung. Eine Einigung konnte bislang nicht erzielt werden. Dabei isst rund ein Drittel der Österreicher „auswärts“, also im Restaurant oder Gasthof. Zumeist wird gespeist, ohne zu wissen woher Gans & Co. Kommen – ein unfreiwilliger Konsum von gequälten Tieren mit der Folge, dass die Praktiken von Stopfmast und Lebendrupf nicht enden.
70 Prozent der Gänse importiert, regionale Produktion nimmt jedoch zu
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass keine österreichische Gans auf dem Teller landet. Rund 70 Prozent des Gesamtverbrauchs stammt nach wie vor aus anderen EU-Ländern, hauptsächlich aus Ungarn. 2020 erlebte die Branche einen Einbruch. Im November vorletzten Jahres befand sich Österreich Corona-bedingt im Lockdown und somit war auch das traditionelle Martinigansl-Essen im Gasthaus nicht möglich.
Zwar wurde die Martinigans zum Mitnehmen angeboten („Gansl to go“), trotzdem wurden aufgrund der fehlenden Nachfrage in der Gastronomie österreichweit um über 400 Tonnen weniger Gänse importiert. Für 2021 ist – aufgrund der Produktionsausfälle in Ungarn oder Polen – ebenfalls mit einer geringeren Importmenge zu rechnen. Denn beide Länder hatten vergangenen Winter mit der Vogelgrippe zu kämpfen und mussten viele Herden notschlachten.
Umso erfreulicher, dass sich die heimische Gänseaufzucht in den letzten Jahren kontinuierlich steigern konnte, zuletzt auf 28 Prozent. Maßgeblich daran beteiligt ist das Projekt Mühlviertler Weidegans, das 1992 gestartet wurde. 2021 gibt es nicht nur im Mühl-, sondern auch in allen andern Vierteln Oberösterreichs eigene Weidegansprojektgruppen, die sich unter dem Markennamen „Oberösterreichische Weidegans“ zusammengeschlossen haben. Darüber hinaus bildeten sich im Burgenland, im Mostviertel, in Salzburg, in der Steiermark, in Kärnten und im Weinviertel ebenfalls Weidegansringe.
Insgesamt über 244 bäuerliche Betriebe produzieren mittlerweile über 40 000 Weidegänse für Martini und Weihnachten pro Jahr. Der österreichische Selbstversorgungsgrad konnte dabei in den letzten 2 Jahrzehnten um mehr als 20 Prozent gesteigert werden. Wer also nicht auf den kulinarischen Genuss der Martinigans verzichten möchte, kann auf die "Österreichische Weidegans" oder eine österreichische Bio-Gans zurückgreifen. Erstere dürfen nach der Aufzucht im Stall auf die Weide. Gefüttert werden sie mit saftigem Gras und zumeist auch mit hofeigenem Getreide wie Hafer oder Gerste – ganz ohne Zwang oder Metallröhre.
Stopfmast oder Lebendrupf werden in Österreich zurecht nicht mehr betrieben. Der Griff zu österreichischen Gänsen oder veganen Alternativen ist eine Lösung, keinesfalls der Import von gequälten Tieren. Davon profitieren schlussendlich auch österreichische Landwirte. Lieber eine heimische Bio-Gans oder gar nicht!
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