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Reportage

Wo unser Essen herkommt: Wer wieviel damit verdient

In der neuen Reportage-Serie "Wo unser Essen herkommt" geht Journalist Paul Lohberger der Herkunft unserer Lebensmittel auf den Grund. Diesmal fragt er sich, wer wieviel damit verdient.

10/11/2021
  • Österreich
  • Ernährung
  • Landwirtschaft
Wo unser Essen herkommt: Wer wieviel damit verdient

Mama, wo kommt das Essen her? Diese naive Frage scheint in den Industrieländern längst beantwortet: Aus der Mikrowelle. Aus der Verpackung. Aus dem Supermarkt. Aus der Fabrik. Warum sind dann Wiesen und Felder auf manchen Verpackungen?! Da war doch irgendwas...Produktion und Vertrieb von Lebensmitteln sind so selbstverständlich, dass die Mehrheit der KonsumbürgerInnen nicht mehr darüber nachdenkt. Genau das soll sich nun ändern. Darum geht es in dieser Serie.

Meine Oma hat immer ihr eigenes Gemüse. Es kommt aus dem „Prä-Garten“, dem Präsentationsgarten: Etwa 20 Quadratmeter des großen Grundstücks sind extra eingezäunt, links und recht von einem zementierten Weg wachsen Kartoffeln, Tomaten, Kräuter, Salat und Gurken (einmal über 150 in einer Saison). Als ich ein Kind war, gab es auch Erbsen, die konnte ich direkt essen. Inzwischen ist die Oma 90, immer noch bewirtschaftet sie den Garten. Jeden Frühling blüht sie auf, wenn es was zu tun gibt. Sie hat das von Kind auf gelernt, in der großen Bauernfamilie mussten alle mitarbeiten. Der kleine Prägarten war vergleichsweise einfach zu unterhalten, neben vielen anderen Tätigkeiten in den Ställen, im Haus und auf den Feldern war das ein kleiner Aufwand, der bis heute in den Alltag integriert ist.

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Der eigene Gemüsegarten wird zur urbanen Sehnsucht
Der Traum von der Selbstversorgung

Eigenes Gemüse anbauen und einlegen, das war auch die Idee der Schrebergärten: Die arbeitende Bevölkerung sollte sich selber mit gesunden Lebensmitteln versorgen können, zwecks ausgewogener Ernährung. Vielfach wurden da später Häuser gebaut, und die verbleibenden Grünflächen nur mehr als Ziergärten gepflegt. Mit dem steigenden Wohlstand konnte man sich ja die Lebensmittel kaufen. Zwar boomen heute wieder die Gemeinschaftsgärten in der Stadt, doch es fällt oft schwer, relevante Beiträge für den Haushaltsbedarf zu produzieren – selbst wenn man ein Haus mit Garten hat. Das laufende Kultivieren von Obst und Gemüse braucht seine Zeit und will in den Tagesablauf integriert sein. Ganz zu schweigen vom Knowhow, was wie zu pflegen ist, zu gießen, wie man Schnecken und Schädlinge fernhält.

Und man muss dafür ja auch zuhause sein. Ähnlich verhält es sich mit dem Kochen. Wenn etwas reif ist, muss es dann verarbeitet werden, konserviert oder eingelagert....kurz gesagt, die moderne, arbeitsteilig erwerbstätige Gesellschaft führt zum Status Quo mit Supermärkten, ausgeklügelter Logistik (besonders für frische Lebensmittel!) und zu einer Statistik, auf die mich ein Marketingexperte einmal hinwies (es ging eigentlich um Verpackungen): Mehr als die Hälfte der deutschen Haushalte kochen nicht mehr selbst. Es mag nationale Unterschiede geben, aber in den meisten europäischen Ländern ist es wohl nicht viel anders. Ein Großteil der Menschen ernährt sich von geliefertem Essen und Fertiggerichten (die brauchen die aufwendigsten Verpackungen).

12 Prozent für die heimische Landwirtschaft

Was früher am Bauernhof innerhalb des Haushalts geleistet wurde – Ernährung von der Primärproduktion über die komplette Verarbeitung bis zur Mahlzeit am Tisch, das war freilich auch der Hauptzweck des Betriebs – ist heute in verschiedene Branchen aufgeteilt. Anfang September 2021 präsentierte Franz Sinabell vom WIFO bei der Landwirtschaftskammer Österreich ein Update zur Studie „Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfung in der Lebensmittelkette“. Zentrale Zahl: 12 Euro. So viel bleibt bei der Landwirtschaft, wenn in Österreich agrarische Lebensmittel für 100 Euro erworben werden. Der Rest geht in Verarbeitung, Vertrieb und Vermarktung.

Die LandwirtInnen können nun Kosten senken und expandieren, oder ihre Betriebsstruktur ändern: Direktvermarktung, Zimmer vermieten, oder sie betreiben Landschaftspflege und bekommen mehr Förderungen dafür, solche Optionen zählte der Forscher auf. Wachstum sei jedenfalls keine Option, meint Josef Moosbrugger, Präsident der LK Österreich. Er sieht die Landwirtschaft „im Schraubstock. Der Handel feiert Rekordgewinne, die Bauern stehen mit dem Rücken zur Wand.“ Der bäuerliche Familienbetrieb ist nach wie vor das typische Modell in Österreich, viele Gegenden lassen sich kaum im großen Stil bewirtschaften. „Das gibt es nicht zum Weltmarktpreis und auch nicht zum Supermarktpreis.“ Es brauche angemessene Preise und Planbarkeit.
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In kaum einem Land Europas ist die Marktkonzentration im Lebensmittelhandel derart hoch wie in Österreich
Knackpunkt Vermarktung und Marktpreise

Auch die Lebensmittelproduzenten spüren die Marktmacht der Handelsketten, die in Österreich viel dominanter sind als anderswo. Kein Land in Europa hat so viel Supermarktfläche pro Einwohner. Sie geben Preise vor und bestimmen, was wie ins Sortiment kommen soll. Mitunter ist der Export lukrativer als der Verkauf am Heimatmarkt Österreich. Trotzdem will man natürlich in den Regalen der Ketten präsent sein, sie organisieren schließlich die Logistik und bringen Lebensmittel und Produkte zu den KundInnen... so spielt jeder Bereich seine Rolle dabei, wie das Essen zu uns kommt. Und von Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung war noch gar nicht die Rede. Die Landwirtschaftskammer fordert immer expliziter, dass hier die Regionalität stärker berücksichtigt wird. Öffentliche Einrichtungen sollten ihre Verpflegung nicht mit billigen Importen bestreiten.

Die große Systemumstellung

Spannend wird sein, wie der europäische Green Deal in der Lebensmittelversorgung umgesetzt wird. Im Rahmen dieses Plans für einen klimaneutralen Kontinent bis 2050 hat die EU Mitte 2020 ihre Farm2Fork-Strategie veröffentlicht. Die Lebensmittelsysteme sollen umgestaltet werden im Sinne der Nachhaltigkeit. Auch die Bevölkerung ist aufgerufen, sich einzubringen: „Die Kommission ruft alle Bürgerinnen und Bürger sowie alle Interessenträger dazu auf, sich an einer breit angelegten öffentlichen Debatte zu beteiligen, um eine nachhaltige Lebensmittelpolitik zu formulieren, und zwar auch im Rahmen von Versammlungen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene.“ Das Streben der europäischen Politik trifft sich dabei mit den Zielen zahlreicher bestehender Initiativen. Manche sind kreativ und aufklärerisch, andere geschäftsorientiert, wieder andere verbinden Visionen und Praxis – wie die Genossenschaft am Zukunftshof, der am südlichen Stadtrand Wiens liegt.

Reale Utopien am Südrand Wiens

In der Ebene südlich von Wien wurde zur Zeit der Monarchie das Suppengemüse angebaut, das in der Stadt verkocht wurde. Das vom Kaiser so geschätzte Rindfleisch kam damals bekanntlich aus Ungarn, hier wuchsen die Beilagen. Der Haschahof war hier ein großer Gutshof, wo auch Vieh gehalten wurde. Nun wird er zum Zukunftshof. Andreas Gugumuck hat sich nebenan mit einer Schneckenfarm etabliert, inklusive angeschlossenem Edelbistro. Er ist Teil des Projekts und fungiert als Sprecher der neuen Initiative. Weitere zukunftsträchtige Nahrungsmittelproduzenten haben sich am Haschahof angesiedelt. Hut und Stiel beispielsweise züchten Pilze.
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Am Haschahof südlich von Wien werden Alternativen gelebt
Was jetzt noch als Spezialität gehandelt wird, hat das Potenzial zum Super Food. Dafür muss mehr produziert werden, und vor allem der Markt aufbereitet, damit die neuen Proteinlieferanten bekannt und beliebt werden – daran soll hier gearbeitet werden. Zahlreiche innovative Landwirtschaftsformen werden am Zukunftshof demonstriert. Schon bisher wurde Biogemüse am Haschahof verkauft, nun soll ein klassischer Markt auf dem Gelände Menschen aus der Umgebung anlocken und den Zukunftshof zum Nahversoger machen. Die Palette wird dann aus bekannten und neuen, ungewohnten Produkten bestehen, aber die KonsumentInnen können in jedem Fall die Herkunft nachvollziehen. Fast wie bei meiner Oma.

Bauernmarkt und Diskussionsforum

Mit von der Partie sind auch Martin Hablesreiter und Sonja Stummerer alias Honey & Bunny. Sie sind ausgebildete Architekten, betreiben aber seit Jahren Designkritik mit besonderem Fokus auf unsere Esskultur und Nachhaltigkeit. Mit Büchern, Ausstellungen und Performances sind Honey & Bunny bisher als Aufklärer und Vermittler in Erscheinung getreten. Nun nehmen konkrete Projekte Gestalt an, also die Kooperation mit Produzenten und Politik. Am Zukunftshof betreiben die beiden eine regelmäßige Diskussions- beziehungsweise Tafelrunde: In wechselnder Besetzung treffen sich Expertinnen, Produzenten, Medienmenschen und auch die sogenannten NormalverbraucherInnen zu einer Tischgemeinschaft. Zu essen gibt es Produkte vom Zukunftshof, die zugleich die Gesprächsbasis bilden. Einen Termin gab es schon im Juni 2021, ein nächster wird im Oktober stattfinden. Auch davon wird diese Serie berichten.

Demnächst in Teil 2 der Serie „Wo das Essen herkommt“: Zurück in die Zukunft?



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