Als Naturschutzbünde und die deutschen Grünen vor zwei Jahren das Volksbegehren „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern“ auf den Weg brachten, gehörte der Bayerische Bauernverband zu den Kritikern der Bestrebungen. Umso interessanter ist, was im März 2021 in Österreich passiert: Die Landwirtschaftskammer und der Bauernbund präsentieren sich in einer Pressekonferenz als „Wegbereiter für Biodiversität und Klimaschutz“. Was ist davon zu halten?
Genaugenommen sind es natürlich nicht die Interessensvertreter selbst. Die Wegbereiterrolle wird der österreichischen Land- und Forstwirtschaft zugeschrieben, im Rahmen des „Biodiversitäts- und Klimaprogramms 2030“, erstellt von Bauernbund und Landwirtschaftskammer Österreich. „Schützen durch Nützen!“ lautet die Devise. Die Präsidenten Georg Strasser (Bauernbund) und Josef Moosbrugger (LK Österreich) haben sich dafür wissenschaftliche Verstärkung durch Reinhard Neugschwandtner geholt, einem Assistenzprofessor an der Universität für Bodenkultur.
„Was machen die anderen?“
Tatsächlich will man sich positionieren für den Green Deal, der vor einem Jahr auf EU-Ebene vorgelegt wurde. Die darin enthaltenen Strategien für Farm-to-Fork und Biodiversität betreffen die Landwirtschaft und ihre Vertreter. Es geht nun nicht um Ablehnung des Green Deal, sondern um Anerkennung der bestehenden Bemühungen, und natürlich möchte man neue Entwicklungen und Ansprüche mit den eigenen Interessen verbinden. Die Landwirtschaft, so betont Moosbrugger, ist eine „Industrie“, die CO2 bindet. „Diese große Verantwortung können wir nicht alleine tragen.“ Hier wird besonders auf den Wald verwiesen: Der Urwald mag im Sinne der Artenvielfalt interessant wirken, der genützte Wald bindet jedoch mehr CO2, weil Holz entnommen wird und nachwachsen muss. Auch der Boden ist ein CO2-Speicher, den die Bäuerinnen und Bauern pflegen. Die übermäßige Bodenversiegelung wird von den Vertretern der Landwirtschaft schon länger thematisiert und kritisiert. In den letzten Jahren konnte der Humus-Gehalt durch reduzierte Bearbeitung insgesamt gesteigert werden.
Schützen durch Nützen
Mehr Humus, das bedeutet dann im mikrobiellen Bereich Artenvielfalt. Sie soll im Rahmen einer vielfältigen landwirtschaftlichen Nutzung gefördert werden, allerdings auch mit gezielten Maßnahmen. Die sollen nun weiter ausgebaut werden, erklärt Bauernbund-Präsident Strasser: „Zusätzlich zum ÖPUL planen wir spezifische Finanzierungen für bestimmte Leistungen.“ Das „Österreichische Programm für umweltgerechte Landwirtschaft“ gibt es bereits seit 1995, es wird laufend weiterentwickelt. Die Betriebe verpflichten sich beispielsweise, auf klar definierten Biodiversitätsflächen später und weniger zu mähen, abgestuftes Wirtschaften nennt man das. Im Jahr 2019 gab es fast 159.000 ha biodiversitätsrelevante Flächen. 91.000 Betriebe , also rund 84% der heimischen Bäuerinnen und Bauern nehmen am Programm teil. Es findet also guten Zuspruch. „Jeder Betrieb kann zumindest 5% und maximal 10% der Flächen als Biodiversitätsflächen nutzen“, sagt Strasser im direkten Austausch. „Erfreulicherweise machen sowohl Klein- wie Mittel-, als auch Großbetriebe mit. So gibt es bei uns kleine Nebenerwerbsbauern die ihre Flächen extensiv bewirtschaften wie auch Großbetriebe, die Artenvielfalt fördern wollen.“
Struktur und Konzentration
Das ist spannend, weil große Betriebsstrukturen sich in der Vergangenheit oft wenig interessiert zeigten an ökologischen Konzepten. Und die Vielfalt der Landwirtschaft und damit der Naturräume und Arten kommt in Österreich wesentlich von der kleinteiligen Landwirtschaft – Strasser: „Obwohl die Rate der Hofübernahmen relativ hoch ist, bleibt der Strukturwandel leider auch in Österreich nicht stehen. Jeder Hof, der zusperrt, tut uns als Bauernbund im Herzen weh. Umso erfreulicher ist, dass sich diese Tendenz etwas verlangsamt und eine umweltfreundliche Form der Bewirtschaftung stetig zunimmt.“ 2015 haben mit 90.500 und 2019 mit 90.700 ungefähr gleich viele Betriebe an Umweltmaßnahmen teilgenommen, obwohl die Zahl der Betriebe eher rückläufig ist.
Hier liegt die Frage nach Flurbereinigungen nahe. Durch das Zusammenlegen von Flächen gehen bestimmte Lebensräume verloren, zB Grasstreifen zwischen zwei Feldern. „Ja, es gibt noch ganz vereinzelt Flurbereinigungen“, sagt der Bauernbund-Präsident, „wie zum Beispiel bei einer 5-Meter breiten Waldparzelle, die sich nicht gut bewirtschaften lässt. Die großen Kommassierungen, wie in den 70er-Jahren, sind aber längst Geschichte. Mit Stolz können wir sagen, dass die Landwirtschaft in kaum einem anderen EU-Land so kleinstrukturiert ist wie bei uns, und das ist gut so. Denn das bringt Vorteile für Bauernfamilien, Klima und Artenvielfalt.“
Abkehr von der extensiven Nutzung?
Aufgrund dieser Fakten und auch in der Pressekonferenz erscheint Österreich als Musterland für Landwirtschaft. Könnte man sich da nicht den Versuch leisten, weniger zu produzieren und andere Voraussetzungen zu schaffen (zB was die Preisstruktur betrifft)? „Darauf gibt es eine eindeutige Antwort und die lautet Nein! Wenn wir in Österreich weniger Lebensmittel produzieren, profitieren die davon, für die artegerechte Tierhaltung, schonender Umgang mit der Natur und das Denken in Generationen Fremdwörter sind.“ Man könne die Verantwortung für Tier- und Umweltschutz nicht ins Ausland verlagern, meint Georg Strasser, „das kann nicht im Sinne des Konsumenten sein. Wir wollen uns selbst mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln versorgen können und nicht Billigprodukte aus aller Welt importieren müssen. Dazu müssen wir aber auch genug produzieren.“
Die globale Dimension und ihre Widersprüche
Importe, bei denen Biodiversität eine Rolle spielt, gibt es freilich auch für die Landwirtschaft: Wenn österreichische Schweine Futter aus Südamerika bekommen, stammt das oft aus wenig sensibler Produktion. „Das ist eine große Herausforderung, Stichwort Mercosur-Abkommen, gegen das wir uns als Bauernbund eindeutig positionieren“, und der Präsident führt weiter aus: „Wir sind dafür, dass bei importierten Lebens- und Futtermitteln dieselben hohen Standards eingehalten werden, die wir in Europa und gerade in Österreich haben. Höchste Qualität zum niedrigen Preis gibt es nicht. Irgendwer zahlt immer drauf und das sind bei Billigimporten eindeutig die nachhaltig wirtschaftenden Bauernfamilien in Österreich sowie Klima und Artenvielfalt in Südamerika.“
Spätestens in der globalen Dimension, aber auch generell sind die Widersprüche, Perspektiven und Herausforderungen vielfältig, wenn man Landwirtschaft und Biodiversität zusammendenkt. Und auch wieder nicht, meint Georg Strasser. „Wir Bäuerinnen und Bauern sehen es als Verpflichtung, unsere Natur und unsere Böden zu schützen. Es gibt aber immer größere Bestrebungen, uns, die sich seit Generationen mit ihren Böden und den darauf wachsenden Pflanzen und lebenden Tierarten befassen, die Bewirtschaftung einzuschränken.“ Tatsächlich ist das auch der Subtext der Präsentation: Die Landwirtschaft in Betrieb halten, das geht nicht ohne Unterstützung. „Wenn wir gegen die größte Herausforderung für uns Bauernfamilien, den Klimawandel, arbeiten wollen, müssen wir unsere Flächen auch bewirtschaften können. Die Wissenschaft sagt, dass nachhaltig bewirtschaftete Flächen einen größeren Beitrag zu Klima- und Artenvielfalt leisten, als ungenutzte. Da sagt uns auch die BOKU ganz klar: Produktion und Nachhaltigkeit gleichzeitig steigern.“ Dazu greift man mittlerweile wieder auf die Fruchtfolgewirtschaft zurück.
Vielfältige Ansprüche, komplexe Zusammenhänge
Größer als der Anspruch von Biodiversität an die Landwirtschaft ist in unserer Gesellschaft der Anspruch, über eine Vielfalt an billigen Lebensmitteln zu verfügen. Vor diesem Hintergrund sind die landwirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte durchaus zu würdigen: Produktivität ist nach wie vor ein Ziel, aber nicht mehr das einzige - im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo Förderungen sich nach Produktionsmengen richteten. Der Zusammenhang zwischen Klimakrise, Biodiversität und der Produktion von Lebensmitteln ist klar, aber komplex. „Biodiversität braucht Landwirtschaft und Landwirtschaft braucht Biodiversität“, erklärte der Kammerpräsident Moosbrugger schon am Beginn der Pressekonferenz. Es braucht „Anreize im Rahmen der ökosozialen Marktwirtschaft“, steht in den Unterlagen: Differenziertere Unterstützungen können Landwirtschaft und Biodiversität aufeinander abstimmen. Gestalten muss das die Politik, und es gibt zumindest gute Ansatzpunkte: Nach der Pressekonferenz muss der Bauernbund-Präsident weiter, zur Clubsitzung im Nationalrat.
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