"Für die wilde Natur sehe ich keine Gefahr - der Mensch ist der Verwundbare!" Wenn der Botaniker Christian Körner über den Klimawandel spricht, geraten vorgefertigte Vorstellungen von dessen Auswirkungen schnell ins Wanken. Im Rahmen eines Langzeitmonitorings untersucht er mit seinem Team die Folgen der Erderwärmung unter anderem im Tiroler Innergschlöß im Nationalpark Hohe Tauern. Sein Fazit: "Der Trick des Lebens oberhalb der Baumgrenze ist das Mikroklima!"
Was er damit meint, zeigt der emeritierte Professor der Universität Basel oberhalb der Baumgrenze mit Blick auf den Schlatenkees-Gletscher. An Stellen, wo sich Schnee in Mulden sammelt und somit länger liegen bleibt als in der Umgebung, findet man aufgrund der unterschiedlichen Dauer der schneefreien Zeit auf kleinstem Raum verschiedenste Mikrohabitate. "Hier gibt es über nur wenige Meter eine massive Änderung der Lebensbedingungen und damit der Vegetation", sagte Körner. "Entlang dieses Gradienten 'spielt' die Natur bereits heute Klimawandel durch."
Augenöffnende Beobachtungen
Konkret bedeutet das, dass hier über einen mehrjährigen Beobachtungszeitraum entlang eines definierten Rasters beobachtet werden kann, wie sich Pflanzen und Tiere bei Erwärmung verhalten. "Hier haben wir den Übergang vom Günstigen zum Ungünstigen im Raum, den wir normalerweise in der Zeit erwarten", so Körner. Wird es einer Pflanzenart in ihrem angestammten Habitat zu warm, wandert sie ein Feld weiter nach oben.
"Diese Mikrohabitate verschieben sich parallel zur Klimaerwärmung", sagt der Forscher. "Wir nützen diese kleinräumige Variation als Modell und beobachten, welche Arten wie reagieren." So habe man etwa bereits herausgefunden, dass grasartige Gewächse auf Erwärmung sensibler reagieren als krautige. "Das war für mich augenöffnend", erzählt Körner.
Arten wandern, um kühle Plätzchen zu finden
Dass es nach oben hin irgendwann keinen Platz mehr geben wird, schließt Körner - zumindest für die Alpen - aus. Denn Arten können nicht nur nach oben, sondern im Relief auch zur Seite wandern, um ein kühleres Plätzchen zu finden, also zum Beispiel von der Südseite einer Rippe auf deren Nordseite. Lediglich die Größe der Populationen werde sich verändern: "Die Flächen für Arten die es gern kühl haben werden kleiner werden, aber ich bin mir fast sicher, dass wir kühle Habitate und ihre Arten nicht verlieren werden."
Ein Monitoring in größerem räumlichen Umfang findet im selben Gebiet im Rahmen eines großen Kartierungsprojekts der "Revital Integrative Naturraumplanung" statt. Dafür waren in den vergangenen zwei Jahren sechs Expertinnen und Experten im Gelände unterwegs, um Lebensräume im Nationalpark zu kartieren. Dies ist über eine eigens entwickelte App erfolgt, in die direkt vor Ort verschiedenste Attribute eingegeben werden. So wurde etwa eine Gesamtartenliste erstellt und pflanzensoziologisch zugeordnet.
Tabula rasa am Berg
Besonders interessant für ein Monitoring sind Flächen, die sich zuletzt stark verändert haben - etwa dort, wo sich der Gletscher gerade erst zurückgezogen hat. "Dort startet die Besiedelung von null weg, dort ist quasi Tabula rasa", erklärt die Vegetationsökologin Evelyn Brunner von der Revital Integrative Naturraumplanung. "Hier können wir die Sukzession, also die zeitliche Abfolge bis zum Klimax-Stadium, das dann stabil ist, feststellen." Als Referenz können Bereiche untersucht werden, wo sich vor 160 Jahren noch Gletscher befunden haben. "Man hat die Zustände ja nebeneinander, man muss nicht 1000 Jahre warten", freut sich Körner.
"Wir haben 36.000 Punkte mit unterschiedlichen Pflanzen in der Datenbank", so Brunners Revital-Kollege Andreas Nemmert. "Wir wissen, wie die Pflanzen verteilt sind und können in fünf oder zehn Jahren wieder hingehen und schauen, ob sie noch so vorhanden sind." Es lohnt sich also, die Ergebnisse des Projekts im Blick zu behalten.
(oekoreich/APA)
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