Hitze, Dürrephasen, Starkregen, Überflutungen: Die vergangenen Sommermonate haben in vielen Teilen Deutschlands, aber auch in Westösterreich einmal mehr gezeigt, dass der Klimawandel nicht mehr zu leugnen ist. Aber es ist nicht nur das Klima, das enorme Schäden verursacht, es sind auch die Fehler der Vergangenheit. Mehr als ein Jahrhundert hindurch wurden in Österreich Flüsse und Bäche begradigt, Moore und Feuchtwiesen trockengelegt und Flächen zubetoniert. Es waren die Jahre, in denen der Mensch die Natur bändigte und auf diese Weise Agrarland sowie Baufläche gewann. Seit 1870 wurde die Fläche der Fließgewässer in Österreich einer WWF-Studie zufolge von fast 400 auf 255 Quadratkilometer reduziert. Auf knapp 730 Quadratkilometern breiteten sich im 19. Jahrhundert in Österreich noch Feuchtwiesen und Moore aus. Jetzt sind es gerade noch 132 Quadratkilometer.
„Da wurde weit übers Ziel hinausgeschossen“, sagt Gerhard Egger, Teamleiter Flüsse, beim WWF Österreich. Denn jetzt, wo der Klimawandel für heftige Wetterkapriolen sorgt, sind die Folgen dieses Glaubenssatzes „Die Natur ist uns Untertan“ dramatisch. „Es fehlen einfach die Sickerflächen für das Regenwasser“, erklärt Egger. Die jüngsten Überschwemmungen in Salzburg wurden Großteils durch überfüllte Abwasserkanäle verursacht. Das Kanalsystem konnte die enormen Regenmengen nicht mehr aufnehmen. „Abflussräume, Feuchtwiesen, die als Speicher in Dürrephasen wirken und viel Regen aufnehmen können, fehlen eben“, lautet das Resümee des WWF-Experten. Nach einem Jahrhundert, in dem viel investiert und viel kaputt gemacht wurde, muss also ein Jahrhundert der Reparaturen folgen. „Denn die Prognose lautet: Starkregen werden häufiger.“
Was tun also? „Wir müssen den Flüssen wieder Raum zurückgeben und den Flächenverbrauch reduzieren“, sagt Egger. meint der WWF. Geht der Verbauungstrend aber so weiter wie jetzt, schätzen die Experten, dass bis zum Jahr 2070 weitere 252 Quadratkilometer Flussraum als Gewässer, Uferzonen, Auwald und Feuchtwiesen wegfallen.
Auch für Walter Seher vom Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung der Universität für Bodenkultur, ist das Mittel zur Verringerung der Schäden aus dem Klimawandel völlig klar: „Wir müssen den Bodenverbrauch reduzieren“. Von zwölf Hektar pro Tag, die derzeit verbaut werden, müsste die Verbauung auf 2,5 Hektar sinken. Doch Rückbau wird kaum möglich sein. Im Gegenteil: Der Immobilienboom treibt die Verbauung in den Gemeinden quer durch Österreich an. Bürgermeister werden von Investoren umworben und können deren Angeboten kaum widerstehen. Den Gemeinden die Flächenwidmung zu entziehen, wie manche Experten fordern, ist für Walter Seher, kein probates Mittel. „Besser wäre es, der Bund würde klare Rahmenbedingungen vorgeben, an die sich die Bürgermeister halten müssen“, sagt er.
Die Stadt wird zum Schwamm
Und viele Fehler seien schon vor Jahrzehnten passiert: Etwa Wohnhäuser, die in Gebieten stehen, die als Hochwasser-Risikozonen ausgezeichnet sind oder Gebäude in den Alpen, die in Lawinenschutzgebieten errichtet wurden. Die Bewohner zum Aufgeben ihres Heims zu zwingen, wird nicht die Lösung sein. Anreize sind da schon eher ein gangbarer Weg. Seher sieht die Lage pragmatisch: „So wie in der EU-Hochwasserrichtlinie festgehalten, geht es wohl um die Erhaltung bestehender Abflussräume und das zaghafte Dazugewinnen von neuen Flächen“.
Wohin mit den Wassermassen aus den zunehmenden kurzen und heftigen Unwettern? Diese Frage hat in der Stadt eine neue Dimension des Bauens eröffnet. „Früher“, sagt Bernhard Steger, Leiter der Wiener Magistratsabteilung 21 A und zuständig für Stadtteilplanung und Flächennutzung, „ging es vorwiegend darum, dass das Wasser schnell weg musste - also ab ins Kanalsystem“. Doch der Klimawandel hat die Stadtplaner nicht nur in Wien Neues gelehrt. Jetzt geht es darum, das Wasser nicht nur über die Kanäle abzuleiten, sondern langsam versickern zu lassen. Wasserspeicher für Hitze- und Trockenzeiten sind gefragt. Hier kommt das Konzept der „Schwammstadt“ ins Spiel. Wege in Parks, Straßen und Plätze in der Stadt werden nicht mehr zuasphaltiert, sondern mit Platten und Fugen auf speicherfähigem Unterbau verlegt. So kann das Wasser versickern und eine Art unterirdischen Speicher bilden. Beim Umbau des Wiener Pratersterns wird dieses Prinzip bereits angewandt. „Das ist natürlich auch im Interesse von Wien Kanal. Jeder Liter Wasser, der versickert, kostet nichts in der Entsorgung“, betont Steger. Auf ganz Wien ist das Schwammstadt-Prinzip allerdings nicht anwendbar. Die Beschaffenheit der Böden sei dafür nicht überall geeignet, räumt der MA 21-Leiter ein.
Bäume, Bäume, Bäume
Das Beste für das Stadtklima in Zeiten steigender Temperaturen aber sind Bäume. „Nichts kühlt besser und schafft mehr Schattenbereiche als Bäume“, sagt Anna Detzlhofer, Chefin von DnD Landschaftsplanung. Sie hat mit ihrem Team den Masterplan Grün für Wien-Neubau entwickelt. Der Bezirk hatte ein „Grün-Konzept“ auch dringend notwendig. Mit einem Anteil von nur drei Prozent an Grünflächen zählt er zu den am stärksten versiegelten Gebieten der Bundeshauptstadt. „Um die Straßen im siebenten Bezirk nachhaltig abzukühlen, sind Baumpflanzungen das wirksamste Mittel“, betont Detzlhofer. Derzeit hat Neubau gerade einmal einen Baum pro 30 Bewohner. Auch bei neuen Baumpflanzungen setzt Detzlhofer auf das Prinzip der Schwammstadt. Die Pflanzen werden nicht, wie bisher üblich, in relativ kleine Löcher im Boden gesetzt und künstlich bewässert, sondern sollen viel Platz und unterirdisch verbundene Retentionsräume für das Wasser bekommen. So können sie viel besser verwurzeln und trockenen Phasen standhalten.
Im dicht verbauten Gebiet aber wird es mit Bäumen allein nicht getan sein, um eine Kühlung in den Hitzemonaten zu erreichen. Fassaden- und Dachbegrünungen Seit der Baurechtsnovelle 2018 kann die Stadt Wien für einzelne Neubauprojekte die Begrünung der Fassade vorschreiben. „Am besten ist es natürlich auch in diesem Fall, wenn die Grünpflanzen, die sich an den Häusern hochranken sollen, im Boden angesetzt werden", sagt Detzlhofer. Das aber ist die teurere Variante und in Zeiten von explodierenden Immobilienkosten nicht immer die bevorzugte. Einfacher ist es, die Pflanzen in Töpfe zu setzen und an Seilen hochwachsen zu lasen. Das aber erfordere wiederum viel künstliche Bewässerung, gibt die Landschaftsarchitektin zu bedenken.
Dasselbe gilt für die Begrünung von Dachflächen. In Töpfen und Kisterln gepflanztes Grün braucht viel Wasser, Detzlhofer setzt auf große Grünflächen auf Industriedächern oder Supermärkten. Dort wird eine dicke Substratschicht aufgetragen, auf der dann gepflanzt werden kann. Die Schicht wiederum speichert das Wasser, künstliche Bewässerung ist seltener notwendig. Aber auch dieses großflächige Begrünen von Dächern hat seine Grenzen. Denn auch die Photovoltaik will die Dächer nutzen. „Da geraten wir in eine Art grünen Interessenkonflikt“, meint Detzlhofer.
Die intensive Nutzung allen verfügbaren Raumes ist allerdings auch ein Vorteil städtischen Wohnens, gibt MA 21-Leiter Steger zu bedenken. Jeder Wiener benötige gerade einmal ein Zehntel der Bodenfläche eines Bewohners des ländlichen Raums in Österreich. Die Effizienz der Stadt sei beachtlich. Trotz enormen Zuzugs in den vergangenen Jahrzehnten habe Wien seinen Grünanteil gehalten. „Wären die rund 500.000 neuen Stadtbewohner, die seit 1990 hinzukamen, aufs Land gezogen, hätten sie ein Vielfaches an Platz gebraucht“, erklärt Steger. In allen Neubauprojekten sei Begrünen und Kühlen ein wesentliches Thema.
Auch wenn das auf den ersten Blick nicht zu sehen sei: Hinter dem Wiener Hauptbahnhof sei ein vier Hektar großer Park angelegt worden. Insgesamt habe Wien den Anteil an gewidmetem Grünland in den vergangenen zehn Jahren sogar um 34 Hektar steigern können. In der Stadt wie auf dem Land lautet das Motto zum Umgang mit dem Klimawandel also in erster Linie: Anpassung. Rückbau und Einschränkungen werden wohl erst dann ein Thema, wenn es wirklich brenzlig wird.
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