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Bürger gegen BILLA: Wie Tausende gegen die Zerstörung von Schutzgebiet kämpfen

Peter Klein ist Wortführer einer Protestbewegung, die mittlerweile die Unterstützung von tausenden Menschen hat. Es geht um eine Wiesenfläche im Schutzgebiet.

8/28/2024
  • Ernährung
  • Österreich
  • Konsumentenschutz
Bürger gegen BILLA: Wie Tausende gegen die Zerstörung von Schutzgebiet kämpfen

Seit mittlerweile mehreren Jahren kämpft eine größer werdende Anzahl an Menschen in Hinterbrühl bei Wien gegen die Zerstörung einer Wiesenfläche. Der Handelsgigant BILLA möchte dort unbedingt eine neue Filiale errichten, obwohl die Lebensmittel-Versorgung durch entsprechende Supermärkte mehr als hinreichend gegeben ist. Es wäre sogar der vierte Supermarkt innrhalb eines Radius von 1,5 Kilometern.

Wortführer der Protestbewegung gegen diesen Irrsinn ist der Architekt Peter Klein, der früher sogar selbst für den REWE-Konzern tätig war, wie er im ausführlichen Interview mit oekoreich schildert. Wir haben ihn zum Hergang des Widerstands und dem aktuellen Stand befragt. Seine Schilderungen zeigen, wie ziviler Ungehorsam gegen die Verbauung von Naturflächen entsteht und was er alles bewegen kann.

oekoreich: Erzählen Sie uns zum Einstieg etwas über Ihre Person.

Ich bin ein Hinterbrühler Bewohner, wohne weit abseits dieser besagten Wiese. Beruflich bin ich als Architekt tätig, der REWE-Konzern war einer meiner größten Auftraggeber bis zu diesem Vorkommnis. Angemerkt: Ich habe früher nur Logistikcenter gemacht sowie zwei Filialen. Und vor bald vier Jahren hat Billa beschlossen, auf einer Wiese mit 6.000 Quadratmetern außerhalb des Ortes, mit Sicht auf den Husarentempel und in Nahverbindung zur Burg Liechtenstein, den vierten Markt im Umkreis von 1.600 Metern zu bauen.

Ich habe das nicht glauben können, bin zum Billa-Bauchef sowie zum Immobiliendirektor gegangen und ihnen gesagt „Ihr werdet in der Öffentlichkeit falsch verstanden, das kann doch nicht euer Ernst sein“. Worauf sie antworteten, dass das ihr voller Ernst sei, die Kaufkraft sei da und diese wollen sie abschöpfen. Bei einem zweiten Termin, den ich ausgemacht habe, kam ich mit einer alternativen Idee auf: denken wir das durch, bauen wir eine Paketbox mit entsprechender Ausstattung (kühl- und heizbar), die von den anderen drei Filialen bestückt werden und behaupten ihr hättet dort bauen können, was aber ungesetzlich wäre. Medienmäßig wäre das besser, die Wiese bleibt erhalten, die drei Filialen kümmern sich um die Paketboxen und alle wären zufrieden.

Mir wurde gesagt, dass das nicht so sei, sie sind österreichweit zweiter geworden nach Spar und müssen wieder an die Spitze zurück. In anderen Worten: in einer Excel-Tabelle müssen mehr Quadratmeter rauskommen als bei der Konkurrenz. Als zweiter Grund wurde angeführt, dass jemand anders dort bauen würde, wenn sie es nicht tun. Meine Beschwichtigungen, dass dort nicht gebaut wird aufgrund des Gesetzesbruchs, wurden abgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie das Projekt schon eingereicht gehabt, worauf ich mit der Idee der Bürgerinitiative begonnen habe.

oekoreich: Was sind die Pläne für das Grundstück?

Im Moment steht dort nichts und in unseren Augen soll dort auch nichts entstehen. Es ist unwidersprochen Bauland, das 1972 umgewidmet wurde und bislang nicht in Anspruch genommen wurde. Die Gesellschaft hat das Recht der Nutzung verborgt, damals sollte neuer Wohnraum geschaffen werden. Jetzt wollen wir billigen Wohnraum, jedoch kostet dort der Quadratmeter um die 1.000 Euro, ergo nicht billig. Wir haben andere Probleme wie brennende Wälder, auch bei uns in Mödling und Hinterbrühl, die Trockenheit ist ein Irrsinn und der Klimawandel ist spürbar, wir haben ihn alle dieses Jahr mitbekommen. Das Areal ist Landschaftsschutzgebiet, es ist nur Wald rundherum ansonsten nichts. Interessiert ist Billa in Wahrheit nur an Lagen an großen Straßen, nicht an der Erhaltung der Filiale im Ort. In Hinterbrühl leben ungefähr 4.000 Menschen, es gibt eine Billa-Filiale und einen großen Spar am Ortsrand - ich glaube nicht, dass wir unterversorgt sind.

Als Architekt bin ich dagegen, dass Infrastruktur und Einkauf an den Ortsrand gelegt wird und die Ortskerne aussterben, der sogenannte Donut-Effekt. Dies muss verhindert werden, woraufhin sich diese Bürgerinitiative begründet hat. Zuerst haben wir versucht, mit den Politikern zu sprechen, die nur mit „da können wir nichts machen“ antworteten – es ist Bauland, das ist so. Wir haben dem entgegnet, dass dies ungesetzlich ist und nicht möglich ist, das Raumordnungsgesetz Niederösterreichs spricht dagegen, die Bebauungsbestimmungen des Ortes passen nicht.

Letztere wurden am 23. Dezember 2020 in einer Sitzung des Gemeinderates angepasst, dass im öffentlichen Interesse mehr als 300 Quadratmeter gebaut werden darf. Bis dato durfte in Hinterbrühl nicht größer als 300 Quadratmeter gebaut werden, ganz gleich wie groß das Grundstück ist. Es wurde eingeführt, um die Hanglage und das Landschaftsbild vor Großbauten zu schützen – seit Dezember 2020 ergänzt um Infrastruktur und Gebäude des öffentlichen Interesses. Dies wurde vom Bürgermeister so interpretiert, dass diese geplante Billa-Filiale im öffentlichen Interesse sei, aus meiner Sicht aber doch nicht der vierte in 1.600 Meter Reichweite! Über diese Pläne habe ich mit ihm diskutiert sowie mit dem Gemeindevorstand, die alle der Meinung waren, dass es so laufen soll. Daraufhin habe ich mit den Anrainern Kontakt aufgenommen, die meinten „da kann man nichts machen, ich hab schon mit dem Bürgermeister gesprochen“. Das hat mich sehr erschüttert, dass Menschen so schnell aufgeben – was in Konsequenz leider anderen Parteien die Möglichkeit gibt, diese Frustration abzuschöpfen.

Dem konnte ich nicht weiter zusehen, wenn selbst die Anrainer nichts tun wollen, und habe begonnen aktiv zu werden. Dabei wohne ich selbst nicht mal in der Gegend, sondern in einem anderen Teil Hinterbrühls, manche unterstellen mit gar Eigeninteressen die nicht vorhanden sind. Andere verwechseln mich mit dem ehemaligen sozialistischen Vizebürgermeister Klein, der früher als Bauträger im Staatsdienst agierte. Manche glauben ich wolle dort selber bauen, das ist auch nicht der Fall. Der Bürgermeister hat mich sogar als „Bautaliban“ bezeichnet, weil ich den Bau verhindern will. Als nächsten Schritt wollten wir einen öffentlichen Diskurs und in Folge eine Volksbefragung. Ich habe daraufhin einen Initiativantrag gestartet, zehn Prozent der Stimmen des Ortes (inklusive aller entsprechenden Daten) eingeholt und dem Bürgermeister vorgelegt mit dem Verlangen, dass es eine Volksbefragung gibt.

In der Zwischenzeit haben wir zwei negative Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Mödling erreicht, die von Billa noch immer bekämpft werden. Im April 2023 fand dann die Volksbefragung statt, die in unserem Sinne ausgegangen ist mit dem Resultat, dass die Bebauungsbestimmung korrigiert werden muss. Leider kann Billa sich noch auf die alte Bestimmung berufen. Natürlich wollen wir verhindern, dass sonst jemand dort hin kommt. Bis heute ist keine Änderung der Bebauungsbestimmung geschehen, sie ist also noch in Kraft. Wir haben vor der Zentrale protestiert (oekoreich berichtete), in der Zwischenzeit 6.250 Unterschriften über eine Petition auf der Plattform Aufstehn eingeholt, die gegen den Bau ist. Ich investiere extrem viel Geld, Zeit und Herzblut in dieses Unterfangen, weil ich einfach diesem Vorgehen der Gesetzesanpassung, mit der Wirtschaft gegen die Natur zu verhabern als Architekt nicht mehr zuschauen kann.

Ich bin kein Gegner des Bauens, ich bin aktiv als Architekt, habe 44 Mitarbeiter und lebe davon, aber man muss wissen wo. Die Bodenversiegelung ist etwas, das gestoppt gehört und das letzte was wir in Österreich brauchen ist ein weiterer Supermarkt, wo schon genug in der Nähe sind. Die Folge dieses ewigen Wachstums, in der Medizin würde man es Krebs nennen, ist, dass bei St. Pölten auf 170.000 Quadratmetern Ackerland ein neues Zentrallager von Billa errichtet wird. Denn: sie müssen ja die neuen Filialen auch beliefern. Wiesen und Ackerböden, die einmal zerstört sind, brauchen 1000 bis 2000 Jahre um wieder bewirtschaftet werden zu können – wir geben viel zu viel auf für irgendeinen Unsinn wie einen Billa-Markt. Im Kontext: ein Billa-Markt produziert jedes Jahr sechs Tonnen Biomüll, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Braucht soviel Strom wie 100 bis 200 Haushalte. Warum die vierte Filiale dorthin bauen?

oekoreich: Haben Sie mit solch einer großen Reaktion gerechnet?

Darüber habe ich nicht weiter nachgedacht, eher dass ich das machen muss. Ich habe selbst drei Kinder und möchte nicht als alter Mann an diesem Bau vorbeigehen und mir vorwerfen, dass ich nichts getan habe. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass mich eines total überrascht hat. Als ich und die Initiative begonnen haben, konnten die wenigsten etwas mit den Begriff Bodenversiegelung anfangen, konnte niemanden hinterm Ofen damit hervorgeholt. Ich habe sehr schnell auf Klimawandel als Argument wechseln müssen, das haben die Menschen besser verstanden. Und jetzt, innerhalb des letzten Jahres, ist Bodenversiegelung in der Öffentlichkeit so sehr ein Begriff geworden, als Gefahr erkannt worden – das hat mich sehr überrascht.

oekoreich: Wie steht es um die Versorgung in Hinterbrühl allgemein?

Wir haben im Ort eine Billa-Filiale, am anderen Ende eine große Spar-Filiale. Die Billa-Filiale wurde gesperrt und geschlossen vor ungefähr einem Monat mit dem Hinweis auf Umbau, leider auch eine eigene Geschichte. In Gießhübl, einer Nachbargemeinde, steht eine Billa-Filiale, die vom geplanten Standort zirka 1.500 Meter entfernt liegt. Und in Maria Enzersdorf gibt es ebenfalls einen Billa, Entfernung zum geplanten Standort 1.600 Meter. Die Versorgung ist mehr als ausreichend.

Interessant ist noch zu erwähnen das mehrmalige Versprechen von Billa, die Filiale im Ort bestehen zu lassen, wenn der neue Standort gebaut wird. Ich entgegnete dem, dass sie das nicht können und dürfen, sie würden das auch wissen und eben zumachen. Im Zuge dieser Bewilligungsverfahren mussten sie ein Gutachten auf den Tisch legen, erstellt von der RegioPlan, das von uns gefordert wurde aufgrund der fraglichen Raumverträglichkeit. Resultat: die wirtschaftliche Raumverträglichkeit ist nicht gegeben, sie würden mit der vierten Filiale der Konkurrenz an die zwölf Prozent wegnehmen und daher darf die Filiale im Ort bei Neubau auf der grünen Wiese kein Billa bleiben, sondern beispielsweise ein Bipa werden. Von Anfang an wurde gelogen, es war klar, die Filiale im Ort würde wegfallen. Die Wiese liegt 100 Meter höher, dort kommen weder Schulkinder noch ältere Personen hin, auch keine Radfahrer.

oekoreich: Warum genau dort?

Freilich, das ist ganz klar. Dafür gibt es drei Gründe. Grundsätzlich wird überall gebaut wo man gebaut werden kann um wieder auf Platz 1 zu kommen, ganz egal wo. Punkt zwei das Argument „wenn wir nicht bauen, baut wer anderer“ – es ist vollkommen egal, da geht es nur mehr um Marktanteile, nicht um einen Gewinn. Drittens ist der Platz nicht schlecht. Diese Lebensmittelhändler interessiert die Ortslage reichlich wenig, sie wollen Menschen die direkt mit den Autos daran vorbeifahren, die großen Werbeschilder sehen.

Einen großen, einladenden Parkplatz haben um einen großen Kofferraum aufzumachen und dort alles hineinzuhauen, was sie dort anbieten. Dazu brauchen sie Standorte, die von einer wichtigen, großen Verbindungsstraße gut einsehbar sind. Und nach diesen Kriterien wird gesucht, was bei betreffender Wiese der Fall ist. Sie ist wunderschön beim Vorbeifahren und für Konzerne wäre sie noch schöner, wenn der eigene Name und das Logo darauf sind.

oekoreich: Wie lange zieht sich dieser Konflikt schon?

Im Dezember 2020 wurde die neue Verordnung beschlossen, am 24. Februar 2021 haben sie ihr Projekt eingereicht. Bis zum Ende des Sommers 2021 haben wir Gespräche geführt mit allen Beteiligten, bis ich Ende des Sommers mit der Bürgerinitiative begonnen habe. Seither hat es eine Zurückweisung des gesamten Aktes gegeben mit dem Hinweis auf Paragraf 18 des nö. Raumordnungsgesetzes vonseiten der Bezirkshauptmannschaft. In Folge hat Billa nochmal eingereicht und im Jänner 2022 den ersten negativen Bescheid erlangt. Daraufhin wurde noch einmal eingereicht und im Juli 2022 abermals einen negativen Bescheid erhalten. Beide Male haben sie Beschwerde beim Landesverwaltungsgerichtshof eingelegt und da gibt es nun die erste Erkenntnis, die sagt, dass die Widmung illegal war und vonseiten der Gemeinde Kompetenzen überschritten wurden.

oekoreich: Der Entscheid des Landesverwaltungsgerichts hat große Wellen hervorgerufen, wie sehen Sie den Entscheid?

Es ist nur ein vorläufiger Entscheid, sehe es aber sehr positiv, weil es für mich zeigt, dass dem näher nachgegangen wird und dass die Gesetze in Österreich doch noch gelten, wenn man als Bürger darauf achtet. Von selbst scheint die Verwaltung diese nicht einzuhalten, deshalb ist es wichtig, dass es Institutionen wie einen Landesverwaltungsgerichtshof, einen Verfassungsgerichtshof gibt und diese werden sich das anschauen. Aber es ist ja nicht nur der Punkt, es ist eben nur ein vorläufiger Entscheid. Wenn der Verfassungsgerichtshof entschieden hat wie ungerecht oder wie illegal die Gemeinde gehandelt hat, erst dann wird der Landesverwaltungsgerichtshof alle anderen sechs eingebrachten Punkte, die wir eingebracht haben, behandeln, warum der Bau gesetzlich nicht zulässig ist. Von der moralischen Seite rede ich hier noch nicht einmal. Erst dann wird es weitergehen.

Ich sehe es insofern positiv, weil es eine massive Zeitverzögerung bringt und in der Zwischenzeit immer mehr Menschen darüber nachdenken und sich für die Natur einsetzen werden und vernünftiger werden, vielleicht auch beim Konzern.

oekoreich: Nun geht es noch eine Instanz höher, zum Verfassungsgericht: auf welchen Ausgang hoffen Sie?

Schwierig, ich bin kein Jurist und kann das nicht beurteilen. Was ich sagen kann ist, dass ich davon überzeugt bin, dass das Handeln der Gemeinde, diese Zweckumwidmung, wie ich immer schon gesagt habe illegal ist. Ich hoffe daher, dass der Verfassungsgerichtshof erkennt, dass diese Ausnahme mit Berufung auf öffentliches Interesse nie hätte gegeben werden dürfen. Weil das öffentliche Interesse kein definierter Rechtsbegriff ist, was das ist. Wenn 51 Prozent der Bevölkerung sagt wir wollen das jetzt aus öffentlichem Interesse ist das nicht klar. Und unbestimmte Rechtssituationen sind schädlich, denn es bedeutet, dass man es sich richten kann. Ich hoffe daher, dass dieses öffentliche Interesse vom Verfassungsgerichtshof als unrechte Verordnung fällt. Dafür haben wir ja auch die Bürgerinitiative sowie die Volksbefragung gestartet, die wir in Folge gewonnen haben, weil wir gesagt haben: Dieses öffentliche Interesse ist nicht rechtens.

oekoreich: Danke für das Gespräch!


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