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Reportage

Aufgedeckt: So stark betrifft der neue Hühnerfleisch-Skandal auch Österreich

Eine neue Aufdeckung von systematischer Hühner-Misshandlung in gigantischen Tierfabriken erschüttert Deutschland. Doch auch Österreich ist davon betroffen - und zwar viel stärker, als bislang angenommen wurde.

11/8/2022
  • Österreich
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Aufgedeckt: So stark betrifft der neue Hühnerfleisch-Skandal auch Österreich

Die Aufdeckung, die von der Albert-Schweitzer-Stiftung vor kurzem veröffentlicht wurde, hat Deutschland erschüttert. Zu sehen auf den Videos und Fotos, die im Sommer 2022 in Niedersachsen mit versteckter Kamera angefertigt wurden, sind Hühner in gigantischen Mastanlagen. In den Ställen eines wichtigen Lieferanten des Handelskonzerns LIDL.

Doch nicht nur dieser Diskonter soll in Deutschland und auch in Österreich von dem großen Fleischproduzenten beliefert worden sein, wie mehrere Medien berichten – und wie auch uns gegenüber von LIDL Österreich bestätigt wurde. Demnach dürfte das Fleisch der gequälten Tiere in zahlreichen Supermärkten verkauft werden. Dazu aber später mehr.

nullhttps://www.lidl-fleischskandal.de/
Eine ganze Homepage ist dem gigantischen Hühnerfleisch-Skandal gewidmet
Dauerstress und quälende Langeweile

Was die Causa so brisant macht, dass ist die „Alltäglichkeit“ des Elends, das dokumentiert wurde. Was hier gefilmt wurde, das findet sich in der einen oder anderen Form tausendfach in Deutschland. Die gesetzlich erlaubten Haltungsbedingungen sind eine Schande. Sie stellen für die Tiere per se schon eine Qual dar, wie die Expert*innen informieren:

Für die Tiere gibt es weder Rückzugs- noch Beschäftigungsmöglichkeiten. Unter natürlichen Bedingungen sind Hühner den halben Tag in kleinen Gruppen unterwegs, um nach Nahrung zu suchen. In einem Stall wie hier leben Zehntausende dicht gedrängt und leiden unter Dauerstress und quälender Langeweile.“

Das eigene Gewicht nicht mehr tragen können

Auf engstem Raum sind zigtausende Tiere untergebracht, bei den Hühnern handelt es sich um Qualzuchten. Das heißt, dass sie unter Einsatz von großen Mengen an Kraftfutter in sehr kurzer Zeit sehr schnell wachsen und Fleisch ansetzen. Genau dieses Eiltempo überfordert aber die Organe und den Körperbau der Tiere – mit katastrophalen Folgen.

Die Hühner verletzen sich, sie können irgendwann nicht mehr richtig gehen, viele brechen auch unter dem eigenen Gewicht zusammen. Krank liegen sie tagelang in ihren eigenen Ausscheidungen, viele sterben schon lange vor dem eigentlichen Schlachttermin. Kein Einzelfall, sondern Symptom eines kaputten und auf Profitmaximierung ausgerichteten Systems:
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Furchtbare Zustände nicht nur in dem LIDL-Zulieferbetrieb in Deutschland
Eingeplante „Ausfälle“

Durch Qualzucht, hohe Besatzdichten, das ständige Liegen in den eigenen Fäkalien und Dauerstress sind Masthühner besonders anfällig für Krankheiten. Eine gezielte tiermedizinische Behandlung ist jedoch nicht vorgesehen. Durchschnittlich 5 % der Tiere verenden dadurch qualvoll noch vor der Schlachtung. Solche Verluste sind von den Mastbetrieben fest eingeplant.“

Wenn man das durchrechnet, dann dürfte es alleine in Deutschland zu Millionen toten Tieren kommen, die alleine aufgrund der miserablen Haltungsform sterben. Millionen Tiere, die ohne jeglichen Sinn geboren und gefüttert werden. Es ist profitabler sie sterben zu lassen, statt an der fürchterlichen Unterbringung und Aufzucht etwas zu ändern.

Systematische Missachtung fühlender Wesen

Die Aufnahmen zeigen, wie unzählige Tiere aus dem Stall in Müllcontainer gebracht werden, die Leichen türmen sich darin schon. Ganz normaler Alltag in den riesigen Mastanlagen der deutschen Geflügelindustrie. Auch der Umgang mit den Tieren ist nicht von Respekt geprägt, die Hühner werden hier wie Objekte behandelt und nicht wie fühlende Wesen, wie die Aufnahmen dokumentieren:

Einige werden noch im Stall mit den Händen oder durch einen Schlag betäubt oder getötet, andere zappelnd herausgetragen. Mindestens ein Huhn bewegt sich noch, nachdem es auf eine Schubkarre mit toten Hühnern geworfen wurde. Außerdem uriniert ein Mitarbeiter in den Stall.“

Dass alles scheint Symptom des Systems Massentierhaltung zu sein, in dem Tiere objektiviert werden. Die Mitarbeiter*innen in diesem System, es handelt sich dabei zumeist um schlecht bezahlte Personen ohne spezifische Ausbildung, gehen mit den Hühnern um wie mit Kartons. Von Mitgefühl ist hier keine Spur zu sehen, sie hätten aber realistisch betrachtet als Arbeiter*innen auch überhaupt keine Möglichkeit den Tieren zu helfen.

Vernichtende Kritik der Tierschutzbeauftragung

Die Organisation hat auch die Stellungnahme der Berliner Landestierschutzbeauftragten eingeholt, die zu folgendem Befund kommt: „Bei den in dem Betrieb von Lidl gemästeten Hühnerrassen handelt es sich um sogenannte Qualzuchtrassen. Fast 80 % der Tiere erleiden aufgrund der Züchtung und Haltung unerträgliche Schmerzen. Lahmheit, Herz-Lungen-Erkrankungen, Verhaltensdeprivation und Hitzestress sind bei den sogenannten Turborassen an der Tagesordnung. Die gesundheitlichen Probleme und Leiden der ›Mast‹Hühner hängen sowohl mit den rassespezifischen Merkmalen wie zu schnelles Wachstum und zu hohes Gewicht als auch mit der inadäquaten Haltung der Tiere zusammen. Zigtausende Hühner werden auf engstem Raum auf ihren Ausscheidungen sitzend zusammengepfercht."

Und weiter: "Die Aufnahmen aus dem Lidl-Zuliefer-Betrieb zeigen also klare Verstöße gegen §2 Tierschutzgesetz, der eine angemessene Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung der Tiere vorschreibt. Auf den Aufnahmen sieht man verstorbene und sterbende Tiere. Der Landwirt ist verpflichtet, kranke Tiere zu identifizieren, zu separieren und gegebenenfalls schmerzfrei zu töten. Dass Tiere regelmäßig offenbar unbemerkt verenden, zeigt jedoch, dass die Überwachung der Tiere absolut unzureichend ist. Das ist angesichts der tierschutzwidrigen Haltung in Hallen mit zig tausenden Hühnern in Betrieben mit mehr als 50.000 Tieren wohl kein Wunder.“
nullwww.lidl.at
LIDL wirbt intensiv mit der Sängerin Christina Stürmer - und musste dafür bereits viel Kritik einstecken
Auch in Österreich?

Wir haben LIDL Österreich mit den furchtbaren Bildern konfrontiert und wollten wissen, ob der Konzern ausschließen kann, dass das Fleisch aus diesem Betrieb in österreichischen Regalen landet. Außerdem wollten wir wissen, was LIDL Österreich unternimmt, um solche Tierquälerei in seinen Lieferketten zu verhindern. Und nicht zuletzt wollten wir erheben, wie viel Import-Hühnerfleisch bei LIDL Österreich grundsätzlich verkauft wird.

Der in Salzburg ansässige Konzern antwortete schnell und umfangreich, so wie wir es von ihm gewöhnt sind. Das muss an der Stelle lobend hervorgehoben werden, denn andere Handelskonzerne wie HOFER oder BILLA haben die Kommunikation mit uns eingestellt. Offenbar hat die Aufdeckung zahlreicher Skandale bei diesen Unternehmen dazu geführt, dass diese nun den Kopf in den Sand stecken. Keine gute Strategie.

LIDL stellt sich den Fragen

Zurück zu LIDL. In dem Statement verurteilt das Unternehmen die Missstände in den Videos auf das Schärfste. Es sei eine Prüfung von unabhängigen und externen Sachverständigen bereits beauftragt worden, weitere Schritte auf Basis der Ergebnisse werden vorbehalten. Wer genau der Lieferant sei, das wollte man uns auch auf mehrfache Rückfrage hin nicht beantworten. Aber LIDL Österreich würde bereits eine Reihe von Maßnahmen setzen.

So wäre das gesamte dauerhaft gelistete Sortiment von Hühnerfleisch zu 100 Prozent aus Österreich. Außerdem würden bereits 25 Prozent darüber hinaus aus biologischer oder Tierwohl-Haltung stammen. Wir haben an der Stelle noch einmal nachgefragt, wie groß der Anteil an Import-Ware bei Hühnerfleisch ist – es sind aktuell etwas mehr als 10 Prozent.

Handelskonzern fordert Weiterentwicklung

Und dann lässt der Konzern in seinem Statement am Schluss noch aufhorchen: „Wir sehen ausdrücklich auch die Notwendigkeit einer Transformation der Nutztierhaltung in Österreich und werden daher weiter intensiv daran arbeiten, unser Sortiment in Zusammenarbeit mit unseren Partnern und Lieferanten entlang der gesamten Lieferkette und mit Blick auf die nationalen Kundenbedürfnisse tierwohlgerechter zu gestalten.

Der österreichische Diskonter, dessen deutsche Konzernmutter zu den größten Handelskonzernen in ganz Europa zählt, spricht hier offen von einer Weiterentwicklung der heimischen Landwirtschaft. Dabei zählt diese im Geflügelbereich bereits zu den Vorreitern, die gelebte Praxis in den Ställen sieht ganz anders aus als in Deutschland. Wir haben daher auch die österreichische Geflügelwirtschaft zu dem Skandal befragt.
nullGeflügelwirtschaft Österreich
Auf einen Blick: Das sind die Unterschiede zwischen der Hühnermast in Österreich, in der EU und in aller Welt
Es liegen Welten zwischen Österreich und Deutschland

Zunächst wollten wir wissen, wie die Unterschiede in der Haltung zwischen österreichischen und deutschen Betrieben aussehen – so informiert uns die Geflügelwirtschaft Österreich: „Die Masthühner haben laut Bundestierschutzgesetz bis zu 30% mehr Platz im Stall. Das bedeutet für die Tiere, mehr Licht, mehr Luft und mehr Bewegungsfreiheit. Die Tiere sind damit nachweislich gesünder, das bestätigt auch der nachweislich sehr geringe Einsatz von Tierarzneimittel (insbesondere Antibiotika). Jede einzelne Herde wird von einen anerkannten Geflügeltierarzt betreut. Die regelmäßigen Kontrollen der AMA-Marketing stellen darüber hinaus die Einhaltung der tierschutzrelevanten Haltungsrichtlinien sicher.“

Die durchschnittliche Betriebsgröße in Österreich sei um einiges kleiner als in Deutschland. Dadurch, dass die allermeisten Geflügelbetriebe also kleinstrukturiert und in Familienhand befindlich sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Abweichungen vom deutlich höheren gesetzlichen Standard kommt, geringer. Zudem gibt es beim Geflügel in Österreich eine hohe Kontrolldichte, wodurch Verfehlungen schneller auffallen würden.

Importware in Gastronomie allgegenwärtig

Dennoch begegnet einem das importierte Geflügel auch in Österreich ständig. Im Lebensmittelhandel, also etwa bei LIDL Österreich, mache der Anteil an importiertem Frischfleisch rund 10 bis 15 Prozent aus – das deckt sich mit den Angaben des Handelskonzerns. Doch ganz anders sieht es bei Tiefkühlware aus, hier würden auch in den Kühlregalen der Supermärkte bis zu 95 Prozent aus Ländern stammen, die teils unter unwürdigen Bedingungen produzieren.
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Gebacken oder natur: Das Hühnerfleisch im Salat ist meist importiert
Ebenso dramatisch sieht es auch in der Gastronomie aus, wo nach Auskunft der Geflügelwirtschaft Österreich circa 95 Prozent des gesamten Geflügels, also gleichermaßen frische Ware wie tiefgekühlte, aus EU-Ländern und darüber hinaus stammen. Auch Hühnerfleisch aus Brasilien oder Asien kann so auf den Tellern der heimischen Gastronomie landen. Nur 5 Prozent würden nachweislich aus Österreich stammen.

Forderungen an Politik und Wirtschaft

Entsprechend wichtig wäre, so die Geflügelwirtschaft Österreich, eine durchgängige und verpflichtende Herkunftskennzeichnung – sowohl bei verarbeiteten Produkten im Handel als auch in der Gastronomie. Nur dann könne die „Macht der Konsumenten“ greifen: „Nur wenn man ausreichend Information zur Herkunft und Haltungsform der Tiere bekommt, dann kann man sich auch bewusst für das bessere Produkt entscheiden.“

Und was können wir Konsumenten machen? Nachfragen, so die Bitte der heimischen Geflügelbauern, insbesondere in der Gastronomie. Aber Achtung: Nur weil der Lieferant aus Österreich stamme, heiße das nicht, dass er auch österreichisches Fleisch liefere. Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, empfiehlt es sich daher in den Restaurants vorher nachzufragen, wo das Hendl für den „Steirischen Backhendl-Salat“ wirklich herkommt.


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