„Ist ein Einfamilienhaus heute überhaupt noch zeitgemäß?“ Das fragen sich immer mehr ArchitektInnen – und zwar zu Recht. Der aktuelle Dreijahresmittelwert des Bodenverbrauchs liegt in Österreich bei 44 km2, das macht die Größe von 25 Fußballfeldern täglich. Einfamilienhäuser sind neben Straßen, Parkplätzen und Industrieflächen zwar nur ein Faktor der Bodenversiegelung, aber die Frage bleibt in der „Häuslbauernation“ Österreich trotzdem berechtigt.
Nein zum Einfamilienhaus sagen zum Beispiel Delugan Meissl Associated Architekts. Ihren Ansatz haben die österreichischen ArchitektInnen über einige Projekte in China gefunden, wo sie seit zehn Jahren Gewächshäuser planen, die in den dortigen Megastädten eine wichtige soziale Funktion erfüllen: Sie sind (überdachter) Grünraum, der Platz zum Flanieren, Sinnieren und Plaudern bietet (siehe z.B. Greenhouse Ganzhou, Foshan Paradise Pavilion et al.)
Im „Residential Greenhouse Bremen“ haben sie diese Idee auf europäische Verhältnisse und Bedürfnisse übertragen: Auf dem Dach des geförderten Wohnbaus im Stadtteil Neu-Stephani Überseeinsel errichten sie aktuell Glashäuser, die mit der Abwärme des Gebäudes beheizt werden und den BewohnerInnen sowie kommerziellen Start-ups als Anbauflächen dienen. Die jährlichen Erträge in Glashäusern sind je nach Anlage rund sechsmal höher als im Freien. Ein auch in Österreich bedenkenswerter Ansatz?
Um Kohlendioxid zu reduzieren, müssen wir nicht nur weniger Fläche verbauen, sondern auch Flächen renaturieren und Bäume pflanzen. So stellt sich die Frage: Wäre nicht auch die Verschmelzung eines Gewächshaus mit einem Hochhaus ein Impuls für eine zukünftige Landwirtschaft in urbanen Räumen? Denn auch durch die vertikale Anordnung von Anbauflächen können wir die Bodenversiegelung stark reduzieren. Im Nicht-Hochhausland Österreich ist das vielleicht eine gewagte Vorstellung, anderswo bereits Realität: „Vertical Farming“ gibt es zum Beispiel in New York in der Brooklyn Grange Rooftop Farm.
Aber auch hierzulande ist die Idee nicht neu: Im Zuge der Wiener Internationalen Gartenschau stellte der Ingenieur Othmar Ruthner im heutigen Donaupark seinen 42 Meter hohen Glashausturm bereits 1964 vor, damals eine Weltsensation der Gartenbautechnik. Die Idee: In dem Glashaus hielt ein Paternoster 35.000 Töpfe mit Jungpflanzen in ständiger Bewegung. An der tiefsten Stelle übernahm eine Tauchwanne die Bewässerung, Wärme und Licht sollten nahezu unabhängig von Standort und Klima gewährleistet sein. Ruthner hatte bei seiner Entwicklung dieser Glastürme schon damals eine Revolution der Welternährungssituation im Auge. Seine Idee scheiterte am Stromverbrauch bzw. der Frage nach einer effizienten Energieversorgung der Glashäuser. Und doch waren Ruthners Türme Vorläufer des „Vertical Farming“.
Befürworter sehen in Projekten wie diesen einen nachhaltigen Weg, die wachsende Weltbevölkerung mit Lebensmitteln direkt aus der Region zu versorgen, Transportwege verkürzen sich stark oder fallen ganz weg. Diese Form der urbanen Landwirtschaft könnte für immer mehr Menschen auf der Welt relevant werden: Denn nur noch eine Minderheit wird laut Prognosen im Jahr 2050 am Land leben: Wohnten im Jahr 1950 gerade einmal 30 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, waren es 2018 schon 55 Prozent. Bis 2050 soll der Anteil auf 68 Prozent steigen.
Sind Sie Häuslbauer oder Hochhausfan? Was spricht für oder gegen „Vertical Farming“? Schreiben Sie mir an tanja.paar@oekoreich.com
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