Er zählt zu den renommiertesten Experten im Bereich der Tiertransporte im deutschsprachigen Raum, hat viele Jahre lang selbst Kontrollen durchgeführt und im Auftrag der Europäischen Kommission dazu gearbeitet. Der Kärntner Tierarzt Alexander Rabitsch spricht im oekoreich-Exklusivinterview über innerösterreichische Kälbertransporte, die großes Leid verursachen und vielfach zum Tod der Tiere führen.
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oekoreich: Wie alt sind die Kälber, wenn sie vom Milchbauern verkauft werden?
Wir haben Fälle untersucht, in denen die Tiere zwischen 13 und 35 Tage alt waren. Der Langstrecken-Transport von Kälbern ist in der Europäischen Union ab dem 14. Lebenstag rechtlich erlaubt, innerhalb von Österreich aber verboten. Für die Kurzstrecke, also bis zu einer Dauer von 8 Stunden, dürfen sie aber sogar noch jünger sein.
Bis zur vollendeten 5. Lebenswoche sind Kälber nicht imstande bei Infektionen ausreichend schnell Abwehrstoffe zu bilden, vor dem 35. Lebenstag sollten sie daher im Idealfall eigentlich gar nicht transportiert werden.
oekoreich: Wie sehen diese innerösterreichischen Transporte aus?
Stellen wir uns vor wir haben Bauernhöfe in der Steiermark, knapp westlich des Semmering, da werden die Kälber verkauft, wenn sie im Schnitt circa 3 Wochen alt sind. Die werden vom Hof abgeholt und zu Zwischensammelstellen gebracht, wo gewartet wird, bis genügend Kälber für einen großen Transport beisammen sind. Dann werden sie mit diesem nach Bergheim in Salzburg gebracht, wo selektiert wird, welche Kälber ins Ausland geschickt werden und welche zur Mast in Österreich verbleiben.
Die Tiere für die Inlandsmast werden dann, so zeigen ganz konkrete von uns dokumentierte Fälle, wieder retour nach Niederösterreich knapp östlich des Semmering gebracht, wo sie bei einem Mastbetrieb landen. Die Tiere sind also, inklusive Verladezeiten, Sortierung und Wartezeiten, oftmals bis zu 16 Stunden unterwegs, um diese 600 Kilometer hinter sich zu bringen. Das ist eindeutig rechtswidrig.
oekoreich: Wie werden sie in der Zeit versorgt?
Schlecht bis gar nicht. Die baulichen Vorkehrungen in den Transportern sind nachweislich nicht dafür geeignet, die Tiere in diesem Alter auch nur hinreichend zu tränken, obwohl das eigentlich passieren müsste. Eine Fütterung ist für sie vom Gesetz her überhaupt nicht vorgesehen, obwohl sie in diesem Alter bis zu 12-mal pro Tag von der Mutter gesäugt werden würden. Dadurch entsteht natürlich extremes Leid bei den Tieren und eine eklatante Unterversorgung.
oekoreich: Was für Folgen kann dieser Mangel haben?
Bei den von uns untersuchten Fällen, wir haben ja keinen Zugriff auf die Gesamtdaten, mussten wir feststellen, dass bis zu 30 Prozent der Kälber nach den Transporten sterben. Das liegt daran, dass sie physiologisch nicht in der Lage sind diese Strapazen zu überstehen, wir sprechen hier von einer „immunologischen Lücke“, die zwischen der zweiten und fünften Lebenswoche besteht. Den Tieren fehlen die Abwehrkräfte. In dieser Zeit sollten sie daher aus veterinärmedizinischer Sicht gar nicht transportiert werden, weil das Risiko für Todesfälle einfach viel zu groß ist. Wir werden die von uns dokumentierten Fälle und die dafür verantwortlichen Personen natürlich auch zur Anzeige bringen.
oekoreich: Und trotzdem ist viel von dem, was wir bei Tiertransporten als Unrecht erleben, immer noch legal. Oft hört man ja, dass die Tiertransporte dem EU-Recht unterliegen, ist also die Europäische Union in der Pflicht?
Ja und nein. Grundsätzlich orientiert sich alles an den europäischen Gesetzen, das ist schon richtig. Aber die EU-Tiertransporte-Verordnung erlaubt den Mitgliedsländern bei rein innerstaatlichen Transporten auch strengere Regeln zu erlassen. Das ist hier formal auch der Fall, unser österreichisches Tiertransportgesetz aus dem Jahr 2007 beschränkt die Transportdauer auf 8 Stunden. Auch das ist mir noch zu lange, aber das Problem ist, dass hier oftmals erst die Dauer ab der Sammelstelle gerechnet wird, nicht aber von der 1. Verladung am Geburtsbetrieb des Kalbes. Das heißt, dass die Tiere viel länger als 8 Stunden unterwegs sind, also unsere eigenen Gesetze nicht eingehalten werden. Diese Verantwortung können wir nicht auf Brüssel abschieben.
oekoreich: Wer verdient an diesem Kreislauf – wer profitiert vom Leid der Tiere?
Nehmen wir ein plakatives Rechenbeispiel. Ein Milchbauer erhält zwischen 50 und 100 Euro für sein Kalb, wenn er es im Alter zwischen 14 und 20 Tagen verkauft. Da wiegt es zwischen 50 und 75 Kilogramm. Der Viehhändler, der ihm das Kalb abkauft, bringt es nach Bergheim und liefert es von dort dann zu einem Mastbetrieb in Österreich. Dieser Betrieb zahlt ungefähr 150 Euro dafür, die Differenz bleibt beim Viehhändler. Beim Mastbetrieb wird das Kalb bis zu einem Gewicht von 300 bis 400 Kilogramm gemästet, u.a. mit Milchaustauschern, die zum Teil auch Palmöl enthalten. Dann ist das Kalb ca. 7 Monate alt, kostet 600 bis 750 Euro und wird entweder als „Rosé-Kalb“ geschlachtet oder auch nach einem neuerlichen Transport andernorts weitergemästet.
Der Viehhändler bringt solche Tiere also zu einem Endmäster, irgendwo in Österreich, und kassiert zwischen 650 und 850 Euro, die Differenz bleibt wieder beim Händler. Dort wird das Tier bis zu einem Alter von etwa 20 Monaten nochmal gemästet, bis es rund 750 bis 850 Kilogramm wiegt und einen Wert von 1250 bis 1400 Euro (mittlere Rindfleischklassifizierung R) hat. Dann wird es an einen Schlachthof verkauft und zu etwa 400 Kilogramm Rindfleisch verarbeitet. Im Supermarkt kostet das Kilo Rindfleisch aus Österreich dann ab 15 bis 20 Euro aufwärts.
oekoreich: Abschließende Frage: Wieso passiert hier nicht mehr Seitens der Bundesregierung?
Es gab seit dem Regierungseintritt der Grünen mehrere Tiertransporte-Gipfel, die noch vom damaligen Tierschutzminister Rudi Anschober initiiert wurden, ich war dort auch eingebunden. Das waren ganz wichtige Impulse, um die Probleme mal offen anzusprechen und sich auf die Suche nach Lösungen zu begeben. Die Fakten liegen mittlerweile am Tisch, wir kennen die Probleme ganz genau und wir wissen im Grunde auch, wie wir sie lösen könnten. Die Zeit ist überreif für eine Veränderung und – das zeigt nicht zuletzt der Erfolg des Tierschutzvolksbegehrens – wird auch von der Bevölkerung einverlangt. Wir sollten diese Chance jetzt nutzen.
Dr. Alexander Rabitsch, geboren 1957, ist praktizierender Veterinärmediziner in Kärnten. Er war 14 Jahre lang für das Land Kärnten als Kontrolleur von Tiertransporten tätig und gibt sein Wissen nun in Schulungen von Polizisten und Amtstierärzten in ganz Europa weiter. Er ist gerichtlich beeideter Sachverständiger für das Veterinärwesen und fachlicher Mitarbeiter der NGO Animals Angels. Mehr Infos auf seiner Homepage.
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