Erst kürzlich hat Greenpeace festgestellt, dass viele Ökosiegel nicht das halten, was sie versprechen. FSC für nachhaltiges Holz oder das Palmölsiegel RSPO hätten oft schwache, inkonsistente Standards und würden mangelnden Kontrollen unterzogen. Die meisten Label werden von Unternehmen kreiert. Oft sind ihre Auflagen und Kriterien nicht nachvollziehbar. Der Nutri Score folgt anderen Regeln. Er basiert auf unabhängigen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und liegt in öffentlicher Hand. Markeninhaberin ist die staatliche Organisation „Santè publique France“. Das System ist denkbar einfach: jedes Lebensmittelprodukt bekommt Pluspunkte für positive Inhaltstoffe. Dazu zählen Ballaststoffe, Proteine, Obst, Nüsse und Gemüse. Abzüge gibt es für Zutaten, wie Zucker, Fett und Salz. Der Nutri Score vergleicht die Lebensmittel innerhalb ihrer Produktkategorie. So kann also auch Tiefkühlpizza zumindest ein hellgrünes B bekommen.
„Wer Pizza kaufen will, nimmt keinen Apfel“, sagt dazu AK-Konsumentenschutz-Expertin Petra Lehner und erklärt: „Das Label kann keine Ernährungserziehung ersetzen. Aber es hilft, innerhalb der Produktgruppe die bessere Wahl zu treffen.“ Um ihre Produkte mit dem Nutri Score kennzeichnen zu dürfen, müssen Hersteller die Inhaltsstoffe nur in einem einfachen Excel-Sheet eintragen. Das Programm berechnet dann die Bewertung von A bis E. Es fallen keine Lizenzgebühren an. Die Hersteller müssen aber die Nutzungsbedingungen für das Logo erfüllen und haften für ihre Angaben. Lehner: „Der Nutri Score ist das beste Mittel für eine transparente Lebensmittelkennzeichnung. Die Ampelfarben sind leicht zu verstehen und die Überprüfung der Herstellerangaben unterliegt den amtlichen Lebensmittelbehörden. Damit ist es deutlich verlässlicher als private Labels.“ Auch Heidi Porstner von foodwatch Österreich findet im Nutri Score viele Vorteile: „Neben dem wissenschaftlichen Anspruch der Kennzeichnung ist die Unabhängigkeit ein Herzstück des Nutri Scores. Das unterscheidet ihn von vielen anderen Labels und soll auch in Zukunft so bleiben.“
Verpflichtung nicht vor 2024
Kann dieses „Pickerl“ zur Lebensmittelkennzeichnung also neue Standards setzen? Auch der Nutri Score hat seine Schwachpunkte. In die Berechnung fließen zum Beispiel Zusatzstoffe nicht ein. So werden Produkte mit Süßstoff automatisch besser bewertet als jene mit Zucker. Konservierungsstoffe oder Aromen werden ebenso ausgeklammert. Hier ist laut Konsumentenschützerin Petra Lehner Nachbesserung nötig. Trotzdem: „Aus Sicht des Konsumentenschutz ist klar, dass der Nutri Score EU-weit verpflichtend eingeführt werden soll. Er hilft Konsumenten nicht nur bei der Wahl für das gesündere Produkt, sondern ist auch ein Anreiz für die Lebensmittelindustrie, ihre Rezepturen zu verbessern“, sagt sie. Für Karl-Heinz Wagner vom Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien war die Diskussion in Österreich rund um die Kennzeichnung lange im „Dornröschenschlaf“, obwohl zahlreiche Studien zeigen, dass Summenlabels mit Ampelfarben am besten akzeptiert werden. „Das Thema front of pack labeling wurde hierzulande nie diskutiert.“ Dabei ist der Nutri Score seit seiner Entwicklung 2017 europaweit im Kommen. „Das Modell wird neben Frankreich auch in Belgien, Deutschland, Spanien, Portugal, den Niederlanden und Luxemburg als freiwillige Kennzeichnung empfohlen. Weitere Länder überlegen nachzuziehen. In Österreich gibt es bis jetzt keine solche Empfehlung. Damit fehlt es hierzulande auch an Rechtssicherheit im Falle der freiwilligen Verwendung. Für eine verpflichtende Kennzeichnung bräuchte es eine Einigung auf EU-Ebene. Solange es diese Einigung nicht gibt, können die einzelnen Länder nur auf Freiwilligkeit setzen“, erklärt Porstner. Mit einer EU-weiten Regelung sei jedoch laut Amire Mahmood, Leiterin des Referats Lebensmittelrecht und -kennzeichnung im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, nicht vor 2024 zu rechnen.
Eco Score: eine schlechte Kopie?
Da der Nutri Score rein auf die Bewertung der Nährwerte zielt, fließt der ökologische Aspekt nicht in das Modell ein. Dafür soll es aber bald ein weiteres Label geben. Die Initiative für den „Eco-Score“ geht ebenfalls von Frankreich aus – allerdings vorwiegend von Privatunternehmen, wie den App-Anbietern Yuka, Open Food Facts und Etiquettable. Mit dem Nutri Score ist dieses Label also punkto Unabhängigkeit nicht zu vergleichen. Die Bewertung von A bis E basiert hier aber ebenfalls auf den Angaben der Hersteller zum Produkt über dessen ganzen Lebenszyklus. Sie berücksichtigt auch die Recyclingfähigkeit der Verpackung, das Herkunftsland der Zutaten bis hin zur Saisonalität der Lebensmittel. So sollen Konsumenten auf einen Blick feststellen können, welche Lebensmittel den kleineren ökologischen Fußabdruck hinterlassen. „Am Ende muss das Ziel sein, eine ‚grundgute‘ Produktion zu verwirklichen. Meine Vision ist es, dass wir später gar keine Siegel mehr brauchen, weil wir uns auf die Produkte grundlegend verlassen können“, sagt Porstner abschließend.
In eigener Sache: Wir arbeiten unabhängig von Parteien und Konzernen. Um unseren Fortbestand zu sichern, sind wir auf Abonnent*innen angewiesen. Bitte schließen Sie jetzt ein Abo ab und ermöglichen Sie damit unsere Berichterstattung. Danke!