Um die Stadt soll es in dieser Kolumne gehen – und um’s Land. Das Urbane und das Ländliche, was verbindet, was trennt sie heute? Digitalisierung, Globalisierung und Klimaerhitzung verändern auch das Verhältnis von Stadt und Land. Wie viel Land steckt heute noch in der Stadt beziehungsweise wie erobert das Urbane den ländlichen Raum - und ist das überhaupt wünschenswert?
Was macht eine Stadt zur Stadt? Zuerst einmal ihre BewohnerInnen: Ab 100.000 spricht man laut Definition im deutschsprachigen Raum von einer Großstadt. Denken wir an Stadt, denken wir an Verdichtung, an Enge, aber auch an Vielfalt. Die viel beschworene Anonymität der Großstadt ermöglicht diverse Lebensformen und nach dem US-Ökonom Richard Florida auch eine bestimmte Kreativität, wie sie am Land, das sich eher an Traditionen orientiere, nicht entstehe.
Aber stimmt das überhaupt? Durch die Digitalisierung können Kreative ebenso im ländlichen Raum leben – Corona hat dieser Entwicklung einen ungeahnten Boom beschert. Dabei soll nicht aus den Augen gelassen werden, dass dies auch zu einer Verstärkung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern bezüglich Care-Arbeit führt. Gleichzeitig ermöglicht es aber, optimistisch gedacht, neue Wohn- und Arbeitsformen. Co-Working- und -Lebensorte entstehen auch am Land und sind eine willkommene Gegenbewegung zu Leerstand und Abwanderung. So zum Beispiel die Initiative von Theresa Mai, die mit ihrem Unternehmen „Wohnwagon“ samt 27 MitarbeiterInnen nach Gutenstein ins Piestingtal gezogen ist und dort das genossenschaftlich geführte Projekt „Dorfschmiede“ im ehemaligen Wirtshaus Gutensteinerhof betreibt.
Auch bezüglich der Anonymität der Großstadt hat Covid19 zu einer erstaunlichen Umkehrung gängiger Klischees geführt: Während im April 2020 die Blockwartmentalität im dicht verbauten Gebiet zu gegenseitigen Anzeigen führte, lebte man am Land bisweilen freier, fröhlicher und uneingesehener. Die Beschränkungen führen zu einem Run auf ein Haus im Grünen, was die Immobilienpreise anheizt und die Zersiedelungs- und Umwidmungsproblematik verstärkt. So wird es im Großraum Graz-Umgebung in 30 Jahren laut Prognosen des Regionalentwicklungs-Managements keine Bauern mehr geben.
Während die Landwirtschaft also in Form von neuem Urban Gardening (z.B. von Kräuterseitlingen als Fleischersatz), Imkerei am Hochhausdach oder Hühnerzucht im Gemeinschaftsgarten Einzug in die Stadt hält, könnten echte kleinbäuerliche Strukturen zunehmend aussterben: Die Versiegelung des Bodens – pro Minute werden in Österreich 100 Quadratmeter verbaut – sowie die Industrialisierung und Zentralisierung der Landwirtschaft und der damit einhergehende Verlust der Arten- und Sortenvielfalt sind drängende Probleme. Die Art unserer Nahrungsmittelproduktion hat einen großen Einfluss auf den Biodiversitätsverlust. Zunehmender Fleischverzicht sowie Umstellung auf Bioprodukte – der Bioanteil bei Lebensmitteln durchbrach in Österreich 2020 erstmals die Zehnprozentmarke – sind ein Gebot der Stunde.
Die Digitalisierung führt aber auch zu spannenden Allianzen, die vor wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen wären: So initiiert der Chefredakteur einer Wiener Wochenzeitung erfolgreich ein Crowdfunding für einen steirischen Bergbauern, dem die Zwangsversteigerung seines Hofes drohte. Kennen gelernt haben sich die beiden im Netz: Der Bauer warf dem Städter Unkenntnis vor, lud ihn aber zugleich zu sich ein. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Verständigung zwischen Stadt und Land ist also möglich und wünschenswert. Wir brauchen mehr dieser Allianzen.
Sind Sie ein Landei oder eine Großstadtpflanze? Schreiben Sie mir ihre Erfahrungen mit der Ackerfurche oder der Betonwüste an tanja.paar@oekoreich.com.
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