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Huber: "Bio-Äpfel aus Neuseeland einzufliegen, das ist nicht ökologisch"

Der ehemalige bayerische Umwelt-Staatminister Marcel Huber im großen oekoreich-Exklusivinterview mit Christina Höfferer. Über die Entwicklung der Landwirtschaft, das Artensterben und nachhaltigen Konsum.

5/2/2021
  • Artenvielfalt
  • Landwirtschaft
  • Deutschland
Huber: "Bio-Äpfel aus Neuseeland einzufliegen, das ist nicht ökologisch"

oekoreich: Sie leiteten die Arbeitsgruppe Grüne Gentechnik, elf Jahre lang waren Sie in der Bayerischen Staatsregierung, davon dreimal Umweltminister und Verbraucherschutzminister, und Sie sind in der CSU für Nachhaltigkeit zuständig. Wie entstand Ihr Engagement im Bereich Umwelt?
 
Marcel Huber: Losgegangen ist es schon in Jugendzeiten, damals engagierten meine Frau und ich uns bei Greenpeace, was etwa zur Folge hatte, dass wir das Skifahren aufgaben, weil das eine Intensität annahm, die uns nicht mehr angemessen schien. 2003 ging ich in die Politik, was dazu führte, dass sich die CSU bezüglich grüner Gentechnik ganz neu positioniert hat.
 
oekoreich: Sie waren über zwanzig Jahre lang als Tierarzt in der Großtierpraxis tätig, also direkt vor Ort, im Stall und bei den Bauern. Wie sehen Sie die Entwicklung der Landwirtschaft im Hinblick auf die Umwelt?
 
Marcel Huber: Nach dem Krieg versuchte man zu intensivieren: Tierzuchtamt, Berater, Spritzmittel, und Flurbereinigung. Der Staat sagte: Die Leute haben so lange gehungert, im Zweiten Weltkrieg und schon davor in der Weltwirtschaftskrise, das wichtigste ist, dass man den Leuten jetzt etwas zu essen gibt, viel, fett, billig. Irgendwann hat man dann gemerkt: Jetzt reicht es.
 
oekoreich: Heute muss die Landwirtschaft damit leben, dass die Menschen das einkaufen, was am billigsten ist.
 
Marcel Huber: Wir können mit unseren Produktionsformen hier in Bayern, die relativ klein sind, ähnlich wie in Österreich, nicht mit Brasilien oder Kanada Schritt halten. Die Konsequenz war, dass man eine gnadenlose Vergrößerung durchführte. Man hat geschlägert, die Hecken ausgeräumt, Ackerraine entfernt. Wir haben jetzt eine flächenscharfe Landwirtschaft, exakt abgebildet durch Satelliten. Früher gab es den Wald, dazwischen Hecken und zwischen den Äckern jeweils Raine. Das geht heute gar nicht mehr, weil das förderschädlich ist.
 
oekoreich: Was die Tierhaltung betrifft, muss man das Einkaufsverhalten der Menschen betrachten. Wie beeinflussen wir mit unseren Kaufentscheidungen die Situation der Umwelt?
 
Marcel Huber: Die Menschen fahren zwanzig Kilometer mit ihrem 50.000 Euro Auto mit Alufelgen um ein Sonderangebot von irgendeinem Fleisch zu kaufen, das sie gar nicht essen können. Sie kaufen sich einen Weber Grill um 2000 Euro und legen dann die Sonderangebots Halsgrat Teile um 59 Cent drauf. Die Landwirtschaft wird von diesem Kaufverhalten gelenkt, das finde ich sehr besorgniserregend.
 
oekoreich: Was müsste geändert werden, damit die Landwirte nicht aus ökonomischen Gründen gezwungen sind den Anbau zu intensivieren?
 
Marcel Huber: Gut wäre, wenn ein Liter Milch dem Bauern 50 Cent einbrächte. Weil er jedoch nur 30 Cent bekommt, braucht er 120 Kühe, einen Roboter, eine Investition von zwei Millionen Euro für seinen Stall und eine Produktion von 10000 Liter Milch pro Kuh. Ein Lösungsansatz ist: Man muss eben schauen, was man kauft. Wir haben mit unserer Kaufentscheidung eine unheimliche Macht.
 
oekoreich: Wenn wir von der individuellen Ebene der Kaufentscheidungen einzelner jetzt auf die Ebene der Politik nach oben gehen kommen wir zur Gemeinsamen Agrarpolitik GAP. Was passiert auf dieser Ebene?
 
Marcel Huber: Wir leben in einer demokratischen, sehr freien Gesellschaft. Wenn die Kaufentscheidungen der einzelnen für die Umwelt nicht günstig sind, könnte gefordert werden, dass der Staat Einfluss nimmt auf Kaufentscheidungen, Waren verbietet, Waren besteuert. Das bedeutet in der GAP sehr schnell Handelshemmnisse. Eine Besteuerung würde einen Handelseingriff, womöglich einen Handelskrieg bedeuten. Im freien Markt sind staatliche Eingriffe sehr schwer umsetzbar. Was der Staat machen kann, sind Überzeugungsarbeit, Auslobung von Labels und von Hinweisen, für Nachhaltigkeit zu werben und zu informieren.

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Staatsminister a.D. Marcel Huber im Gespräch mit Journalistin Christina Höfferer (oekoreich)

oekoreich: Bayerische Landwirtschaft - österreichische Landschaft - zeigt die bayerische Landschaft die Zukunft der österreichischen Landwirtschaft?
 
Marcel Huber: Beides sind Landwirtschaften mit relativ vielen kleinen Betrieben. Diese überleben auch dadurch, dass sie sich spezialisieren, meistens haben sie mehrere Standbeine, Tourismus zum Beispiel, oder sie schließen sich in Genossenschaften zusammen. In manchen Gegenden Deutschlands haben wir aufgrund der Agrarstruktur der LPG’s aus der DDR ganz andere Flächengrößen. Ich kann mich noch erinnern, dass der durchschnittliche Sauenbestand in Bayern im ersten Jahr meiner tierärztlichen Tätigkeit 17 Sauen pro Betrieb betrug. Heute hält ein Betrieb 200 Sauen. Das ist ein normaler Familienbetrieb und der schaut noch, wie er damit zurechtkommt. Diese Entwicklung ist in Bayern schon gravierend. Wenn ich jetzt noch nach Mecklenburg schaue, dann habe ich Betriebe mit 5000 Zuchtsauen.
 
oekoreich: Sind nicht auch die Unterschiede zwischen Stadt und Land ein zentrales Problemfeld?
 
Marcel Huber: Wenn du mitten in Wien wohnst, tust Du Dir schwer, einen Bauern zu finden, den Du kennst und der Dir am Wochenmarkt einen Sack Kartoffel aus eigenem Anbau verkauft. Das kann ich bei mir in meinem Dorf machen. Aber wenn das jetzt in München oder in Berlin stattfindet, dann haben die Menschen Schwierigkeiten.
 
oekoreich: Sind wir also vom Lebensmitteleinzelhandel abhängig, was die ökologischen Entscheidungen betrifft?
 
Marcel Huber: Der Lebensmitteleinzelhandel ist in einer Position, dass er Dinge anbietet und damit eine Vorauswahl machen kann. Das tut er nicht nach den Kriterien, die mir recht wären. Einen Aldi, einen Tengelmann, einen Hofer, den kannst Du nicht zwingen, der macht das, was am meisten Geld bringt. Wenn der Lebensmitteleinzelhandel, wie wir das in Österreich sehen, bei Billa etwa, die österreichische Ware farblich kennzeichnet, ist das für uns in Bayern vorbildlich. Wenn auf der Rechnung ausgewiesen wird: „Sie haben jetzt gerade 73 Prozent der Waren aus österreichischer Herstellung gekauft“, dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn dagegen der Einzelhandel versucht no name Zeug zu verkaufen, möglichst billig und zu verschleiern, wo es herkommt, Milch um 59 Cent aus Norddeutschland oder aus Tschechien, die über hunderte von Kilometern gefahren worden ist, dann ist das das Gegenteil.
 
oekoreich: Wieviel Markteinfluss soll der Staat nehmen?
 
Marcel Huber: Für mich ist es schon mal ein Riesenschritt, wenn der Staat eine Deklarationspflicht machen würde, die dem interessierten Verbraucher zwingend, in einer Schriftgröße, die man ohne Lupe lesen kann und auf verständliche Art und Weise diese Information gibt.
 
oekoreich: Wird das Einkaufen für den einzelnen zur Herausforderung in Hinblick auf Ökologie?
 
Marcel Huber: Ich bin ja jetzt als Abgeordneter nicht mehr so zeitlich gebunden wie als Minister. Ich bin jetzt manchmal beim Einkauf meiner Frau dabei. Und da ist es dann schon spannend, wenn wir zum Beispiel Karotten kaufen: Ja, wo sind denn die jetzt her? Wenn das dann Biokarotten sind, die aus Zypern kommen, wissen wir, dass die natürlich nicht hergebeamt wurden. Die müssen ja transportiert werden. Dann sage ich: Bitte. Wieso bio? Also Biokiwi oder Bioäpfel aus Neuseeland einzufliegen, das ist nicht ökologisch.
 
oekoreich: Sie haben sich auch im sehr erfolgreichen Artenschutzvolksbegehren engagiert. Ist das Artensterben vielleicht die größere Herausforderung als der Klimawandel?
 
Marcel Huber: Die Menschheit kämpft mit einigen großen Ökothemen, die wirklich besorgniserregend sind. Dazu gehört selbstverständlich der Klimawandel. Dazu gehört, worüber man kaum spricht, der Wassermangel. In ganz viele Landstrichen wird Wasser zur Mangelware aufgrund der Klima Situation, auch bei uns in Bayern. In Franken haben wir teilweise schon richtigen Wassermangel. Und das dritte ist das Artensterben, und das Artensterben ist leider in der Wahrnehmung der Menschen schwer vermittelbar. Biodiversität, Diversität, Verlust? Was geht mich das an, wenn irgendein kleiner schwarzer Käfer plötzlich nicht mehr existiert? Hier muss dafür gesorgt werden, dass man das System sieht. Bei jeder Art, die verloren geht, geht eine Chance verloren, für die Welt, und auch für die Menschheit, zum Beispiel in Hinblick auf Produkte, auf Medikamente, Rohstoffe. Aus ethischer Sicht ist es natürlich um jede Art schade.
 
oekoreich: Sie haben geschildert, was in der Landwirtschaft alles abgeht, Wald, Ackerraine, Hecken - hat das auch Einfluss auf das Artensterben?
 
Marcel Huber: Die neueste Mode sind jetzt japanische Steingärten, das erscheint mir bezeichnend für unseren Umgang mit der Natur. Der Flächenverbrauch ist enorm. Alle zwei Jahre wird in Bayern eine Fläche so groß wie der Chiemsee verbaut. Das macht es vielen Tierarten und Pflanzenarten nicht mehr möglich zu überleben. Dem entgegenzutreten ist zwingend notwendig, aber ganz schwer vermittelbar.
 
oekoreich: Was ist ihre Empfehlung?
 
Marcel Huber: Jeder kann - egal was er wo tut – bewusst handeln, beim Reisen, im Garten, beim Einkaufen.



nullDr. Marcel Huber
Dr. Marcel Huber ist Mitglied des Bayerischen Landtags für die CSU. Von 2007 bis 2018 gehörte er in verschiedenen Funktionen der bayerischen Staatsregierung an, unter anderem auch mehrfach als Umweltminister. Mehr Infos gibts auf seiner Homepage.


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