Die junge Frau, lange Zöpfe, kurze Hose und nackte Beine, steht vorm Futtertisch im Rinderstall. Nach vorne gebeugt hält sie einer Kuh grünes Gras unters Maul, das Tier mit Kulleraugen und Segelohren lässt sie strahlen. „Liebensmittel aus Österreich“ prangt als Schlagzeile daneben. „Liebensmittel“. Ein Wortspiel. Aber auch eine Wortbildmarke, bestehend aus rot-weiß-roter Fahne mit eingraviertem Liebesherz. Dazu noch eine Unterzeile, die Schlussbotschaft, in Großbuchstaben: „TIERWOHL GARANTIERT: LANDWIRT, TIER UND REGION ZULIEBE.“
Wovon hier die Rede ist? Vom neuen Werbefoto, mit dem der bekannte Diskonter Hofer dieser Tage auf seiner Website, im Fernsehen und via Flugblatt sein Image aufpoliert. Die Darstellung ist fein gestrickt. Eine Wohlfühlblase, dem Klischee und Sexismus nicht abgeneigt. Ein krasser Gegensatz jedenfalls zum sogenannten „XXL-Superdeal“, den die Tochter des deutschen Aldi-Süd-Konzerns seit Mitte Juli ihren Kunden in der Kühlvitrine anbietet. Frische Hühnerbrustfilets. Geboren, gemästet, geschlachtet, zerlegt, verarbeitet – alles im baltischen EU-Mitgliedsland Litauen, mehr als 1300 Kilometer von Klagenfurt entfernt. Die saftig-fest wirkende Importware entpuppt sich für Hofer-Kunden als Superschnäppchen von 5,99 Euro je kg. Zum Vergleich: Österreichische Hühnerbrustfilets, gentechnikfrei mit AMA-Gütesiegel, sind im Supermarkt zum Kilopreis von 9,98 bis 15,90 Euro (Stand: 2. August) zu haben. Zwar hält Hofer diese wiederkehrende XXL-Aktion jedes Mal zeitlich befristet, hernach ist die Ware aus den Filialen weggeräumt. Aber die Fragen dazu bleiben.
- Warum verkauft Hofer litauisches Hühnerfleisch?
Die Antwort darauf ist vielschichtig. In einer schriftlichen Stellungnahme, die dem Kärntner Bauer vorliegt, begründet die Hofer KG den Verkauf des litauischen Hühnerfleisches mit „unterschiedlichen Ansprüchen bzw. Haushaltsbudgets“ seiner Kunden. Deshalb würden „temporär limitierte Aktionen, wie die von Ihnen erwähnte, immer wieder Bestandteil unseres ganzheitlichen Angebots sein“.
Für Markus Lukas, Obmannstellvertreter der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Geflügelwirtschaft (ZAG) und selbst Hendlbauer, ist diese Argumentation nur ein Teil der Geschichte. Bei dem litauischen Billigfleisch handle es sich seiner Meinung nach in erster Linie um ein Lockangebot, um mehr Konsumenten in das Geschäft zu bringen. Zugleich ließen sich damit andere Waren mitverkaufen, die nicht zu einem reduzierten Preis angeboten werden, meint er. Dabei wirbt Hofer seit einem Jahr mit einem Hühnerfrischfleisch-Sortiment „zu 100 % aus Österreich“. Der Haken: Ausgenommen davon sind nach Angaben des Diskonters „kurzfristig verfügbare Aktionen“, wie eben das litauische Hendl. Das ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass der Kampf um Marktanteile im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel bekanntermaßen beinhart vonstattengeht. Mitbewerber Lidl bot bis Mittwoch dieser Woche frische Hühnerbrustfilets aus Deutschland an. Deren Kilopreis glich dem bei Hofer aufs Cent genau: 5.99 Euro (Stand: 31. Juli).
Das vom Handel oft vorgebrachte Argument der knappen Haushaltsbudgets der Konsumenten lässt ZAG-Vertreter Lukas nur bedingt gelten. Österreichs Haushalte wenden nach Angaben der Statistikbehörde Eurostat heutzutage lediglich 9,7 % ihres verfügbaren Budgets für Lebensmittel auf, das ist der drittniedrigste Wert in der Union. Nur in Irland und Luxemburg ist der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel noch geringer.
- Ist österreichisches Hühnerbrustfleisch Mangelware?
Laut der Hofer KG „Ja!“. Sie hält dem Kärntner Bauer gegenüber fest: „Es ist uns leider noch nicht möglich, auch unsere vielfältigen Aktionsartikel ausschließlich aus Österreich zu beziehen, denn Österreichs Selbstversorgungsgrad ist bei manchen Fleischsorten zu temporären Absatzspitzen zu gering, um die hohe Nachfrage flächendeckend bedienen zu können.“ Ähnlich argumentiert jener österreichische Importeur, der für Hofer das litauische Hühnerbrustfilet in die Alpenrepublik und damit auch nach Kärnten transportiert: „Aus Österreich konnten uns keine kalibrierten Hähnchenfilets angeboten werden.“
Beide Stellungnahmen kann Markus Lukas von der ZAG nicht nachvollziehen. Ware aus Österreich sei zur Genüge vorhanden, sagt er, auch in der vom Handel gewünschten maßgeschneiderten (kalibrierten) Größe. Jede Handelskette erstelle ihre Flugblätter zwei Monate vor Verkauf der Ware. Die Lieferfähigkeit der österreichischen Geflügelwirtschaft sei hier „zu 100 % gegeben, selbstverständlich auch für Aktionen“, sagt Lukas.
- Wie werden Hühner in Litauen gehalten?
Die Hofer KG betont: „Selbstverständlich erfüllen all unsere Fleischprodukte unabhängig von ihrer Herkunft die österreichischen und EU-weiten gesetzlichen Vorgaben“. Markus Lukas schüttelt darob verständnislos den Kopf: EU-weit gesetzliche Vorgaben, „möglicherweise“; österreichische „sicher nicht“, denn die österreichische Geflügelproduktion habe sich zuletzt freiwillig zum Vorreiter innerhalb der Europäischen Union entwickelt.
Lukas nennt die vollständig gentechnikfreie Fütterung und den in den letzten zehn Jahren um 60 % reduziertem Einsatz von Antibiotika. Auch dürfen österreichische Masthühner während ihrer gesamten Mastdauer auf maximal 30 kg pro m2 gehalten werden. In Litauen liegt die Besatzdichte bei 42 kg je m2, das ist die in der EU erlaubte Maximalgrenze – wobei der oben genannte Hofer-Importeur angibt, der litauische Betrieb unterschreite sie freiwillig um drei Hähnchen.
Die Frage nach der Stallgröße des betreffenden litauischen Betriebs ließ der Importeur unbeantwortet. Markus Lukas geht davon aus, dass sich die Haltung ab 100.000 Tieren aufwärts pro Gebäude bewegt. Nur so könne der Verkaufspreis von 5.99 Euro im Stall wirtschaftlich erreicht werden. Österreichs Hühnermastbauern halten im Schnitt 19.000 Tiere.
Im Legehennenbereich stimmte Litauen zuletzt im EU-Agrarrat gegen ein komplettes Ende der Käfighaltung in der Europäischen Union. Medienberichten zufolge ist der baltische Staat innerhalb der EU mit 96 % Käfighaltung der Spitzenreiter, vor Portugal und Spanien. Österreich verbot mit Jänner 2020 als erstes Land in der EU die Käfighaltung von Legehennen zu Gänze. Sogenannte ausgestaltete Käfige sind in den übrigen Mitgliedsstaaten noch erlaubt.
- Was hat es mit der Aussage des Hofer-Importeurs von litauischen Hühnerbrustfilets auf sich, bei ihm gehe Salmonellenfreiheit vor Regionalität?
Aufhorchen lässt der Hofer-Importeur mit der Aussage, sein Produzent in Litauen biete „garantiert salmonellenfreies Hähnchenfilet“ an; etwas, was ihm „bis dato von österreichischen Produzenten noch nie garantiert“ worden sei. Und weiter: „Salmonellenfreiheit geht für uns vor Regionalität! Wir freuen uns, wenn dies auch in Österreich verfügbar wäre“, gibt das heimische Importunternehmen zu Protokoll.
Österreich gehöre nachweislich zu den Ländern mit der niedrigsten Belastung des Hühnerfleisches durch Salmonellen, kommentiert Markus Lukas von der ZAG diese Aussagen.
Die Probenziehung an den Betrieben erfolge im Gegensatz zu anderen Ländern durch geschulte Tierärzte. Bakterien der Gattung Salmonellen oder Campylobacter unterliegen dabei besonderen Bestimmungen, sie werden im Rahmen eines nationalen Monitorings erfasst, überwacht und im Rahmen der Programme bekämpft. Organisation und Dokumentation der Maßnahmen erfolgen in Österreich über die Datenbank PHD („Poultry Health Data“). Lukas bezweifelt stark die Existenz einer litauischen Garantieerklärung der Salmonellenfreiheit. Der Kärntner Bauer fragte deshalb Anfang dieser Woche beim Importeur nochmals nach – und erhielt postwendend die Zusage für die Übermittlung eines entsprechenden Zertifikats. Mit der Anmerkung: „Leider ist unser Betreuer drei Wochen in Urlaub – aber wir tun, was wir können.“
- Wie sieht der ökologische Fußabdruck des supergünstigen Hühnerfleisches aus Litauen aus?
Dass die Klimabilanz eines mehr als 1300 Kilometer nach Kärnten transportierten Lebensmittels schlecht ausfällt, ist klar. Hinzu kommt: „Ein billiges tierisches Lebensmittel bedeutet Tierleid“, sagt ZAG-Obmannstellvertreter Markus Lukas, der die XXL-Aktion von Hofer mit litauischem Hühnerbrustfilet erbost für „eine Frechheit“ hält. In Österreich habe die ZAG schon Geflügelfleisch aus Chile, 11.000 km weit weg von Österreich, entdeckt. Eine Vorstellung, die bei der jungen Frau mit ihren „Liebensmitteln aus Österreich“ wohl für arges Stirnrunzeln sorgen würde.
Anmerkung der Redaktion: Diese Reportage von Christoph Gruber erschien unter dem Titel „Krasser Gegensatz zur Idylle“ am 6. August 2021 zuerst im „Kärntner Bauer“. Wir freuen uns, dass wir sie ebenfalls bei oekoreich veröffentlichen dürfen.
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