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Reportage

Nebenan ist Hoffnung

Mit unserer Landwirtschaft und Ernährung essen wir den Menschen im globalen Süden die Teller leer. Es ginge anders. Eine Reportage aus der Shrimpshölle von Bangladesch.

4/1/2021
  • Ernährung
  • International
Nebenan ist Hoffnung

Das bleierne Grau des Himmels spiegelt sich im Fluss, der sich träge unter dem Lehmdamm vorbeschiebt. Hinter mir ziehen sich brackige Wasserbecken bis zum wolkenverhangenen Horizont, der knorrige Baum neben mir ist das einzige Grün. Ich bin im Khulna District in Bangladesch. Die küstennahe Region ist das Zentrum der Garnelenzucht. In dem südasiatischen Land, das nur doppelt so groß wie Bayern ist, werden die Tiere auf einer Fläche fünf Mal so groß wie der Bodensee in Aquakulturen, Salzwasserbecken an Land, gezüchtet. Auf dem Gelände namens Polder 20 leben rund 1000 Menschen. Doch sie wissen nicht mehr, wovon, die Garnelen sind an Viren gestorben. „Wir wollen Reis und Gemüse anbauen. Aber hier wächst nichts mehr, das Land ist voller Salz“, sagt einer der Männer, der neben mir im Morast steht. Ein anderer sagt: „Wir haben den Kampf gegen die Schrimps verloren.“
 
Schrimps sind, neben Bekleidung, das wichtigste Exportgut des Landes. Infolge der Strukturanpassung in den Achtziger- und Neunzigerjahren pumpten Weltbank, IWF, die Vereinten Nationen und Entwicklungsorganisationen Milliarden Dollar in die Aquakultur. Sie sollten Wohlstand in das bitterarme Land bringen. 1,3 Millionen Tonnen der Schalentiere werden in Bangladesch gezüchtet. Nicht für die Mägen der Armen, sondern für die Teller der Europäer, Amerikaner und Japaner. Dafür wurden wurden Mangrovenwälder abgeholzt, die dem klimawandelgeplagten Land als Schutz vor Überschwemmung dienten. Reis- und Gemüsefelder wurden den Zuchtbecken geopfert, das Salzwasser ruiniert Böden und Ernten. Eine Katastrophe, denn in Bangladesch leben mindestens zwei Drittel der Menschen von der Landwirtschaft. Wegen der Aquakultur sind in der Küstenregion fast 80 Prozent des Ackerlandes für die Landwirtschaft verloren. Mindestens 150 Landlose, Aktivist*innen und Journalist*innen wurden für ihren Kampf dagegen umgebracht. Und mehr als 100 000 Menschen wurden vertrieben, um auf ihrem Land exotische Snacks für übersättigte westliche Konsumenten zu züchten.

Gutes Essen für alle ist eine Utopie, die wahr werden kann, wenn wir solidarisch mit den Bewegungen des Südens dafür kämpfen.


Diese Gewalt habe ich auch in Indonesien und Brasilien gesehen, wo die Palmöl- und Sojamonokulturen Menschen und Wälder vernichten, um diese Rohstoffe in die reichen Länder des Nordens zu exportieren. Dort werden sie für die Produktion von Fleisch eingesetzt, als Biosprit, der das Klima nicht schützt oder sie werden zu minderwertigem Industrieessen verarbeitet, das krank macht. Das Welternährungssystem, das von Profitinteressen der Agrar- und Lebensmittelindustrie dominiert wird, produziert Hunger, Armut und Gewalt. Die EU hat eine fatale Rolle in diesem brutalen Spiel. Sie okkupiert für ihre importierten landwirtschaftlichen Güter anderswo in der Welt eine Fläche, die eineinhalbmal größer ist als alle 28 Mitgliedstaaten zusammen. Deutschland etwa kauft jährlich Produkte wie Obst, Gemüse, Palmöl und Soja, die andernorts mehr als die doppelte Menge der Fläche des Landes beanspruchen. Deutschland ist der drittgrößte Importeur von Agrarprodukten der Welt, obwohl sich das Land nahezu komplett selbst versorgen könnte. Doch die landwirtschaftlichen Flächen werden vor allem für die exportorientierte Fleischproduktion genutzt.
 
Badrul Alam und Sebina Yesmin haben mich in die Schrimpshölle begleitet. Sie sind von der Kleinbäuerinnen- und Kleinbauernbewegung, die in Bangladesch für Ernährungssouveränität kämpft. Dahinter steckt eine ökologisch und sozial gerechte Landwirtschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und von diesen bestimmt wird, nicht von Wachstum und Export. Badrul hatte mich bereits bei meiner ersten Reise nach Bangladesch begleitet. Schon damals hat er mir von den endlosen Schrimpsbecken erzählt. Es klang entsetzlich. Doch erst als wir auf Polder 20 stehen, begreife ich das Ausmaß: ich blicke in eine Apokalypse aus Matsch.

Aber nur eine Viertelstunde später stehen wir einem anderen Universum. Kühe und Ziegen trippeln über einen grasbewachsenen Damm, Palmen und Obstbäume bilden ein grünes Dach, in dem tropische Vögel singen. Gemüsegärten reihen sich aneinander, Hühner gackern vor den Hütten, drei Schulen gibt es hier. „Wir haben Mango, Kokos, Jackfruit, Tamarinden, Guaven, Hibiscus, Nüsse ...“, Purmanda Mallik strahlt, als zwei Hände nicht ausreichen, den Reichtum hier aufzuzählen, die Männer, Frauen und Kinder, die sich um uns versammelt haben, nicken, „und Holz“ – „und Reis“ rufen sie übermütig, „ja, uns geht es gut.“ Nur eines gibt es hier nicht: Garnelen.
 
Das Paradies, von und in dem 7000 Menschen leben, liegt auf Polder 22 gegenüber der Vorhölle von Polder 20. Wir mussten einfach nur mit unserem Holzkahn den Fluss überqueren. Allerdings ist diese Oase hart erkämpft. Wazed Ali Biswas, damals Geschäftsführer der bis heute größten Garnelen-Export-Firma Bangladeschs, wollte dort seine 30. Schrimpsanlage ansiedeln. Er ließ einen Teil von Polder 22 illegal mit Salzwasser fluten. Doch Tausende protestierten gegen den Schrimpsbaron. Der hetzte einen bewaffneten Schlägertrupp auf die Menschen. Ihre Anführerin Karunamoyee wurde von einer selbst gebauten Bombe in Stücke gerissen, viele andere wurden schwer verletzt. An jenem schrecklichen Tag vor 31 Jahren beschlossen die Menschen von Polder 22, dass auf ihrem Grund niemals Aquakulturen errichtet würden. Heute erinnert ein Denkmal an Karunamoyee und Polder 22 dient den Menschen in der Region als Vorbild und Hoffnung. Als hier 2009 der Zyklon Aila mit fast 100 Stundenkilometern über die Küste fegte und eine riesige Sturmflut vor sich herschob, starben 300 Menschen und ungezählte verloren fast alles. Polder 22 aber war einer der ganz wenigen Orte, der den vernichtenden Sturm völlig unbeschadet überstand.
 
Eine Nachbarinsel, Polder 21, folgt seit einigen Jahren diesem Beispiel: die Menschen dort haben die Aquakulturen aufgegeben, der Monsun wäscht Jahr für Jahr das Salz aus dem Boden, dem Salzgehalt angepasste Sorten Reis und Melonen bringen den Menschen Einkommen, bis sie sich ganz selbst versorgen können. So entsetzlich die Dinge sind, die ich bei meinen Recherchen im globalen Süden gesehen habe, so leuchtend sind andersherum solche Beispiele. Das intakte Walddorf, eines der letzten, das ich auf Borneo besucht habe, wo den Menschen dort gelungen war, ihren Wald und ihre Gärten darin vor der Palmölindustrie zu schützen. In Brasilien, wo sich Indigne ihr gestohlenes Land von den Rinderfarmern und Sojabaronen zurückgeholt und wiedre urbar gemacht haben.
 
Auch in Europa wird Ernährungssouveränität gelebt – in Solidarischen Landwirtschaften und Essenskooperativen, wo Lebensmittel nicht über den Markt vertrieben werden, sondern die Produktion gemeinsam von Bäuerinnen, Gärtner*in und Bürger*innen organisiert und finanziert wird. Das sorgt nicht nur für Unabhängigkeit, bessere Preise und Einkommen, sondern auch für Wissen, Vielfalt, Naturschutz – und es stärkt den soziale Miteinander. Im krisengeplagten Griechenland versorgen „Märkte ohne Mittelsmänner“ ein Viertel aller Haushalte mit mehreren Tonnen Essen pro Jahr. Die Solidarische Bewegung dort versteht das nicht als Notversorgung, sondern als Alternative zum System. Ernährungssouveränität ist ein globales und demokratisches Projekt. Ändert sich unsere Landwirtschaft nicht dahingehemd, kann sie auch im globalen Süden nicht Wirklichkeit werden. Das bedeutet zuallererst eine Abkehr von einer intensiven Landwirtschaft mit Monokulturen, Pestiziden und Düngern, von der wachsenden Fleischproduktion hin zu einer kleinteiligen ökologischen Produktion. Gutes Essen für alle ist eine Utopie, die wir wahr werden kann, wenn wir solidarisch mit den Bewegungen des Südens dafür kämpfen.


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